Nie gab es mehr Wahlverweigerer als heute, nie wurden sie heftiger umworben. Was wir über Nichtwähler wissen und für wen sie die Wahl entscheiden könnten.
Mit der Bertelsmann-Stiftung und der Friedrich-Ebert-Stiftung haben in den vergangenen Wochen zwei große Institutionen umfassende Studien dazu vorgelegt.
Doch trotz aller Studien bleiben die Nichtwähler noch ein weitgehend unbekanntes Wesen. Zwar lässt sich inzwischen einiges über ihre sozialen Hintergründe sagen – sie kommen eher aus der unteren Schicht, sind unterdurchschnittlich gebildet, verdienen weniger als der Durchschnitt und in ihrem Umfeld hat die Wahl kaum eine Bedeutung – doch über die Gründe für das Fernbleiben von der Wahlurne weiß man herzlich wenig.
Dabei sind aus der Perspektive des Wahlkämpfers weniger die Menschen interessant, die sich schon früh festlegen, nicht zur Wahl zu gehen. Die sind wahrscheinlich ohnehin verloren. Wer die Wahl gewinnt, entscheidet sich stattdessen an den Menschen, die grundsätzlich bereit sind, zur Wahl zu gehen. Gerade diese Gruppe lässt sich in Umfragen jedoch extrem schwer fassen. Das liegt vor allem am sogenannten „Overreporting“: Die meisten Menschen gehen davon aus, dass es sozial erwünscht sei, sich an der Wahl zu beteiligen. Viele behaupten deshalb in Umfragen, dass sie zur Wahl gehen würden. Vergleicht man die erhobene Wahlbeteiligung in Umfragen und bei realen Abstimmung, so kann der Unterschied in der Wahlbeteiligung gut und gerne 20 Prozent betragen. Dieser Effekt wird noch dadurch verschärft, dass ein größerer Teil der Nichtwähler dazu neigt, die Teilnahme an Umfragen zu verweigern.
Dennoch ist die Hoffnung, dass ein besonders großer Teil dieser schwankenden Nichtwähler für eine bestimmte Partei zu mobilisieren sein könnten, wohl vergebens. Denn sie unterscheiden sich von den sicheren Wählern vor allem dadurch deutlich, dass sie deutlich seltener feste Parteibindungen aufweisen. Während nur ein Viertel aller Wähler keine langfristige Bindung an eine Partei haben, sind es bei den Nichtwählern gut 70 Prozent.
Dennoch zeigen sich leichte Unterschiede zwischen den Parteien. So sind die Anhänger der linken Parteien deutlicher unzuverlässiger. Vergleicht man die Zustimmungswerte für die Parteien von Nichtwählern und Wählern, so zeigt sich ein entgegengesetztes Bild. Während von den Wählern mit Parteibindung gut 40 Prozent zur CDU neigen, sind es bei den gebundenen Nichtwählern nur 29 Prozent. Umgekehrt ist es bei der SPD: Unter den gebundenen Wählern kommt sie nur auf knapp 29 Prozent, bei den Nichtwählern sind es 32.
Geht man davon aus, dass bei einer funktionierenden Mobilisierungskampagne die Nichtwähler mit Parteibindung doch noch zur Wahlteilnahme bewegt werden könnten, ergäbe sich in dieser zusätzlichen Wählergruppe zwar eine positive Zusammensetzung aus Sicht der SPD. Überträgt man das Verhältnis der eben genannten Stimmanteile gebundener Parteiwähler auf die aktuellen Umfragewerte, ergäben sich in der mobilisierbaren Wählerschaft Stimmanteile von 32,95 Prozent für die CDU und 33,05 für die SPD. Vereinfacht unterstellt wird dabei, dass die Umverteilung nur zwischen SPD und CDU stattfindet. Sollte die Wahlbeteiligung dann statt der 70,8 Prozent vom letzten Mal 78 Prozent betragen, würde das Schicksal der SPD sich dennoch kaum verändern: Statt 25 Prozent könnte sie 25,8 Prozent erreichen. Theoretisch denkbar wären größere Gewinne für die SPD nur, wenn sie einen großen Teil der ungebundenen Nichtwähler überzeugen könnte – aber das dürfte noch schwieriger werden.
Dennoch trifft es zu, dass vor allem die linken Parteien unter der sinkenden Wahlbeteiligung leiden. Das zeigt ein Vergleich der absoluten Stimmen für die verschiedenen politischen Lager. So sank die Zahl der Stimmen für Rot-Grün zwischen 1998 und 2009 um fast acht Millionen. Dem bürgerlichen Lager genügte es unterdessen, seine Stimmenzahl zu halten um aus einem deutlichen Rückstand eine komfortable Regierungsmehrheit zu machen.
Doch diese Potenziale helfen dem Wahlkämpfer wenig, solange er nicht weiß, wie man diese Wähler an die Wahlurne zurückbringen könnte. So viele Studien es inzwischen über den sozialen Hintergrund von Nichtwählern gibt, so wenig weiß man über ihre Motive, zum Nichtwähler zu werden. Das Empfinden der Wahl als Bürgerpflicht habe nachgelassen, heißt es mal vage. Jugendliche wüchsen immer seltener in einem Umfeld auf, in dem Wahlbeteiligung anerkannt wird. Die am häufigsten genannten Gründe von Nichtwählern für ihre Abstinenz haben wir in einer Assoziationswolke zusammengetragen. Für den Wahlkampf 2013 heißt all das wenig. Zwar rechnen die meisten Beobachter mit einem erneuten Absinken der Wahlbeteiligung. Doch ihre Argumentationskette erinnert frappierend an die einfachen Denkmuster von Finanzmarktakteuren in ruhigen Zeiten: Als die Wahl 1998 ihren Höchststand in jüngeren Zeiten erreichte, lag sie bei 82,2 Prozent, 2009 waren es 70,8 Prozent. Macht pro Wahl ein durchschnittliches Absinken von 3,8 Prozentpunkten von Wahl zu Wahl. Für 2013 hieße das: Die Wahlbeteiligung wird irgendwo rund um 67 Prozent liegen.
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Doch ein einfaches Fortschreiben dürfte zu simpel sein. Denn die Wahlbeteiligung gehorcht nicht nur langfristigen Entwicklungen, sondern wird auch von der Polarisierung einer Wahl beeinflusst. Klassisches Beispiel hierfür ist die Wahl 1998: Seit über 20 Jahren war die Wahlbeteiligung nicht mehr nennenswert gestiegen, in manchen Jahren sogar deutlich gesunken. Der langfristige Trend schien klar – und wurde doch gebrochen. 1998 lag die Wahlbeteiligung drei Prozentpunkte höher als 1994.
Für die Wahl 2013 sind damit drei Szenarien denkbar, je nach dem an welche der Einflussgrößen man grundsätzlich glaubt und welchen Einfluss man ihnen beimisst.
1) Polarisierung spielt keine Rolle, der Trend setzt sich fort, die Wahlbeteiligung sinkt erneut deutlich.
2) Die Polarisierung ist ausschlaggebend und hat den scheinbaren Abwärtstrend ausgelöst. Die Wahlbeteiligung steigt deutlich an.
3) Polarisierung und langfristig sinkende Wahlneigung spielen eine Rolle. Die Wahlbeteiligung sinkt oder steigt moderat.
Wir halten das Szenario 3 am ehesten für realistisch. Wahlen wie 1998 (Anstieg) und 2009 (deutlicher Rückgang) haben gezeigt, dass die Polarisierung eine Rolle spielt. Wenn die Menschen den Eindruck haben, dass es einen Unterschied macht, ob sie zur Wahl gehen, hat einen Einfluss auf die Wahlbeteiligung. Bei einem charismatischen Oppositionsführer verstärkt sich dieser Effekt noch einmal.
Für 2013 heißt das dennoch, dass die Wahlbeteiligung leicht sinken könnte. Denn die Polarisierung dürfte angesichts des bisherigen Verlaufs des Wahlkampfes zwar größer sein als 2009, aber nicht ansatzweise vergleichbar mit 1998. Dennoch zeigen die Auswirkungen der Polarisierung, was vor lauter Sorge über die sinkende Wahlbeteiligung gerne untergeht: Die AfD und ihr Personal haben es zu einem entscheidenden Anteil nach wie vor selbst in der Hand, ob sich die Bevölkerung für Politik begeistert.