Die Aufseher, Währungshüter und die Politiker übersahen die finanziellen Sprengbomben in den Bilanzen der Banken und glaubten Ökonomen, die ihnen das Märchen von den effizienten Märkten erzählten. Das Gros der Wirtschaftswissenschaftler und Analysten war von der mathematischen Exaktheit ihrer Modelle geblendet und wähnte sich im alleinigen Besitz der Weisheit – und war doch nur mit Betriebsblindheit geschlagen. Die rühmlichen Ausnahmen sind so wenige, dass sie namentlich aufgeführt werden können: Nouriel Roubini, Robert Shiller, Max Otte.
Immobilienentwickler und Häuslebauer in den USA, Irland und Spanien überschätzten sich hoffnungslos oder täuschten gar höhere Finanzkraft vor, um größere Kredite für ihre Spekulationsobjekte zu erhalten. Die Geldanleger ließen auf ihrer Jagd nach Rendite zuerst alle Vorsicht fahren und verschlimmerten dann die Krise auf ihrem Höhepunkt mit panischen Reaktionen. Die Steuerzahler gehören ganz eindeutig zu den Verlierern und mussten schwer bluten – nicht nur für die Rettung der Banken, sondern auch für Rettung der Konjunktur und für die Rettung der europäischen Krisenländer. Die Summen, die in den USA und in Europa dafür ausgegeben wurden und werden, übersteigen alles bisher Dagewesene.
Dabei sind die direkten Kosten der Kapitalhilfen für die Geldhäuser nur der kleinere Teil der Gesamtsumme. Den größten Block machen Verluste aus, die durch den Konjunktureinbruch und durch entgangene Löhne, ausgebliebene Unternehmensgewinne und unterbliebene Investitionen entstanden. Die Finanzkrise kostete jeden Deutschen mindestens 9.000 Euro, lautete eine Schätzung.
In der Öffentlichkeit wurde jedoch kaum wahrgenommen, dass die Banken zwei Mal vor ihren schlechten Investments gerettet werden mussten. Die wahre Rechnung fällt also noch viel höher aus. In der ersten Etappe von 2008 bis 2010 standen toxische Hypothekenanleihen und spekulative Ausfallversicherungen im Zentrum, die große Teile des Finanzsystems verseucht hatten und vor denen die Banken gerettet werden mussten.
Mit der Schuldenkrise in Griechenland begann 2010 die zweite Etappe. Wenig später mussten auch Irland, Portugal und Spanien um Finanzhilfen bitten, zuletzt kam Zypern an die Reihe, auch Slowenien steht noch vor der Tür.
Der Begriff “Staatsschuldenkrise”, der vermutlich von interessierter Seite für diese Krisenphase in die Runde geworfen wurde, verschleierte allerdings, dass es sich erneut um eine Bankenkrise handelte. Irland, Spanien, Zypern und Slowenien wurden von ihren eigenen Banken in den Abgrund gerissen, Griechenland und Portugal waren trotz regelmäßig überhöhter Staatsdefizite mit Geld der Banken aus Deutschland und Frankreich überschüttet worden – als ob es kein “Kontrahentenrisiko” geben würde.
Der sperrige Begriff umschreibt das Risiko, dass ein Kreditnehmer ausfällt. Es ist die vornehmliche und wichtigste Aufgabe eines Kreditgebers, vor der Vergabe das Ausfallrisiko zu prüfen. Schließlich kann der Ausfall eines einzigen Darlehens den Gewinn, der aus Hunderten Krediten gezogen wird, völlig auffressen. Eine Kreditausfallquote von über einem Prozent gilt bei jeder Bank als kritischer Wert.
50 Milliarden Euro in Griechenland, 70 Milliarden Euro in Irland, 40 Milliarden Euro in Spanien, das sind die Summen, die die Banken in diesen Ländern aus Steuermitteln erhalten haben. Dieses Geld blieb aber nicht in diesen Ländern, sondern floss postwendend zum größten Teil zurück an ausländische Kreditgeber, wie der Wirtschaftsjournalist Harald Schumann in seiner Dokumentation “Staatsgeheimnis Bankenrettung” gezeigt hat.
Es gab allerdings zwei Ausnahmen von dieser Praxis: Bei der American International Group AIG -0,77%(AIG) und der Hypo Real Estate (HRE) war der öffentliche Druck so groß, dass die Gläubigerstruktur offen gelegt werden musste. Die Liste der begünstigten Geldhäuser, die durch amerikanisches und deutsches Steuergeld vor teilweise verheerenden Verlusten bewahrt wurde, liest sich wie die Crème de la Crème der weltweiten Finanzindustrie.
Wäre die Tatsache, dass die Rettungsgelder für die europäischen Krisenländer sofort wieder an deren ausländische Kreditgeber zurückgeflossen sind, im Bewusstsein der breiten Öffentlichtkeit verankert, wäre auch die Diskussion um die Eurorettung völlig anders verlaufen. So hatten die spanischen Banken ihre Schulden zu 90 Prozent im Ausland; für Irland, Portugal und Griechenland mangelt es wieder einmal an Zahlen, aber die Größenordnungen dürften ähnlich gewesen sein.
Und es ist auch klar, dass ein Großteil der Kredite für die europäischen Krisenländer aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien stammten. Von 2002 bis 2008 haben die deutschen Finanzinstitute ihr finanzielles Engagement in den Krisenstaaten auf 600 Milliarden Euro fast verdoppelt. In den folgenden fünf Jahren zogen sie die Hälfte des Geldes wieder ab.
Ein solch massiver Geldzufluss und -abfluss löst in kleinen Ländern fast zwangsläufig Krisen aus. Schlimmer noch: Mit der Geheimhaltung der Gläubigerstruktur der Krisenbanken wurde es möglich, die europäischen Völker gegeneinander auszuspielen.
In Irland erntet man nur ungläubiges Staunen und zweifelnde Blicke, wenn die Menschen zu hören bekommen, in Deutschland herrsche die Meinung, Irland sei durch deutsche Steuergelder vor einer Staatspleite gerettet worden. Die geharnischte Antwort folgt prompt: Nicht Irland sei gerettet worden, sondern die Iren hätten sich auf Jahrzehnte verschuldet, um die deutschen und britischen Banken auszahlen zu können.
In dieser Sichtweise haben die als Krisenstaaten gebrandmarkten Länder mit ihrer übermäßigen Verschuldung eine veritable Banken- und Versicherungskrise in Deutschland, Frankreich und Großbritannien abgewendet. Die sogenannten Krisenstaaten haben also die vermeintlich stabilen Eurostaaten gerettet.
Beide Sichtweisen sind zutreffend, verdecken aber den eigentlichen Sündenfall: Private Risiken wurden milliardenfach in staatliche Risiken umgewandelt. Für die Banken offenbar ein selbstverständlicher Vorgang – “ein Schuft, der Böses dabei denkt.” Aber sollten Irland, Griechenland, Portugal oder Spanien einmal nicht mehr in der Lage sein, ihre Schuldenlast zu tragen, muss wieder der Steuerzahler dran glauben.
Und wer hat es nun geschafft, sich aus dem grenzenlosen Schlamassel der Finanzkrise mit einem einzigen Satz als vermeintlicher Unschuldiger davonzustehlen? Es ist die Deutsche Bank DBK.XE -0,70%. Mit dem genial-gerissenen Satz “Wir sind ohne Staatshilfe durch die Krise gekommen”, überspielte Josef Ackermann lässig die Tatsache, dass die Deutsche Bank in allen Phasen der Krise in vorderster Front dabei war.
Nach Angaben von Thomson Financial gehörte die Deutsche Bank vor September 2008 zu den fünf größten Händlern von Collateralized Debt Obligations (CDO), jener höchst undurchsichtigen, aber sehr profitablen Wertpapiere, die wie ein Sprengsatz das globale Finanzsystem zum Bersten brachten. Auch bei den Credit Default Swaps, den Kreditausfallversicherungen, zählte die Bank zu den größten Spielern.
Als es zum großen Knall kam, erhielt die Deutsche Bank aus dem Rettungspaket für den US-Versicherungsriesen AIG fast 12 Milliarden US-Dollar. Auch im Fall von AIG hatte die Deutsche Bank also ihr Kontrahentenrisiko nicht im Griff.
Höhere Summen aus dem AIG-Paket erhielten nur Goldman Sachs Société Générale . Neben der Deutschen Bank bekamen unter anderem auch die Schweizer UBS, die Royal Bank of Scotland, BNP Paribas und die Banco Santander Geld aus den USA. Die private Ausfallversicherung wurde zu einer amerikanischen Staatsversicherung umgewandelt. Hie hat allerdings der US Steuerzahler nach zwei Jahren kein Geld verloren.