Funktionsweise und Risiken des ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus): Eine leichtverständliche Übersicht

In meiner Wut auf die Euhaftungsganoven in Berlin, Brüssel, Paris und den Schuldenländern lasse ich mich ungern ungern hinreissen.

Aber: Wenn man den Vertrag analysiert, sollte man versuchen, einen klaren Kopf zu behalten. Die Haftungsfallen sind schon erschreckend genug; da muss man nichts hinzudichten, und man sollte auch nicht den Vertragstext oberflächlich-falsch interpretieren.

Ich will also hier 1) den Vertragstext in seinem Kern (nicht in allen Einzelheiten) verständlich erklären, vielleicht besteht auch bei anderen Menschen das Bedürfnis nach einer Darstellung, die sich auf das Wesentliche beschränkt und nach Möglichkeit in Alltagssprache geschrieben ist) und 2) die zentralen Kritikpunkte aufzeigen, d. h. jene Gefahren für Deutschland, die realistisch zu erwarten sind.

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Den Vertrag (Original u. a. hier) schreibe ich für meine Leser(innen) einfach mal neu. So ganz kurz lässt sich der Inhalt zwar trotzdem nicht wiedergeben, aber doch sehr viel kürzer als im Original.

(Meine Nummerierung in der nachfolgenden Darstellung des wesentlichen Vertragsinhaltes hat übrigens keinen Zusammenhang mit den Artikeln des Vertrages selbst.)

1) Wir, die Länder der Eurozone (d. h. alle Länder, wo der Euro die Währung ist – s. Wikipedia) gründen einen Fonds. Aus diesem Fonds unterstützen wir jene Mitgliedsländer, die Probleme bei der Kreditbeschaffung haben.

2) Wir verpflichten uns, zusammen bis zu 700 Milliarden Euro [deutscher Bundeshaushalt: ca. 300 Mrd. €!], in diesen Fonds einzuzahlen. Den nennen wir Europäischer Stabilitäts Mechanismus (engl. European Stability Mechanism, Abk. ESM)

3) Da wir freilich allesamt klamm sind, zahlen wir in Wirklichkeit (nach und nach) zunächst einmal nur 80 Milliarden € ein. Was wir darüber hinaus für unsere Eurettungsaktionen brauchen, pumpen wir uns am freien Markt.

4) Deutschland ist mit gut 27% an diesem Fonds beteiligt. Es muss also im Ernstfalle (wenn alle Kreditnehmer pleite gehen) maximal 190 Mrd. einschießen. Und zunächst muss es mal knapp 22 Mrd. einzahlen.(Prozentanteile einiger anderer Länder: Frankreich gut 20%, Italien ca. 18%, Spanien ca. 12%, Griechenland knapp 3%. Malta als kleinstes Land hat nur ca. 0,07% Anteil.)

5) Von den Fondsgeldern leihen wir aber nur insgesamt höchstens 500 Mrd. aus. Maximal 200 Mrd. € (also die eingezahlten 80 Mrd. und von dem geliehenen Geld bis zu 120 Mrd.) behalten wir als Sicherheitspuffer ein.

6) Wann immer die Fondsmittel erschöpft sind, oder wir erwarten, dass diese Gelder ausgehen, erhöhen wir die Kapitalanteile und die Gesamtkreditgrenze. Auf jeden Fall überprüfen wir aber spätestens alle 5 Jahre, ob diese Werte noch angemessen sind.

[Wie gesagt: Für eine Erhöhung ist Einstimmigkeit erforderlich, und der Bundestag müsste zustimmen. Aber: Wenn (aus Sicht der Politik) “die Hütte brennt”, vekauft die Regierung unseren Bundestagsabgeordneten eine Erhöhung natürlich wieder als “alternativlos” – wie gehabt. Und die Abnickdackel im Bundestag werden wieder brav folgen.]

7) Das Stimmrecht für diesen Fonds richtet sich nicht nach Köpfen/Ländern, sondern nach dem Kapitalanteil.

[Ist ja eigentlich logisch. Bei der Europäischen Zentralbank haben aber Deutschland und Malta die gleichen Stimmrechte! Danke, Ihr Volksverräter Theo Waigel und Helmut Kohl, dass ihr uns bei der EZB derart in die Scheiße geritten habt!]

8) Das entscheidende Organ dieses Fonds ist der sog. Gouverneursrat. Die “Gouverneure” sind die Finanzminister der Länder [für uns also Wolfgang Schäuble], die sich aber auch durch vorher zu benennende Stellvertreter vertreten lassen können.

9) Für die technische Abwicklung ist ein Direktorium verantwortlich. Dort sitzt ebenfalls ein Vertreter für jedes Land. Auch hier sind für Abstimmungen die Anteile am Fonds maßgeblich, also genau wie im Gouverneursrat.

10) Die allerwichtigsten Entscheidungen setzen Einstimmigkeit voraus. So müssen z. B. bei Erhöhungen des Stammkapitals ALLE Länder zustimmen.

Andere, nicht ganz so folgenreiche Entscheidungen bedürfen einer sog. “qualifizierten Mehrheit”. Die setzen wir mit 80% an (bzw. für ein ganz bestimmtes Verfahren mit 85 %).

[Deutschland kann also derzeit nicht überstimmt werden, weil es ja mehr als 20% der Anteile hält.]

11) Wenn der Fonds Verluste macht, müssen die Länder den Fonds wieder auffüllen, d. h. es wird Kapital nachgefordert. Solange die Verluste nur absehbar sind, macht das der Gouverneursrat mit 80%iger Mehrheit. Sind jedoch Verluste tatsächlich schon angefallen, kann das Direktorium Nachschüsse fordern, und das mit einfacher Mehrheit. [Deutschland hätte in diesem Falle also kein Vetorecht.] Und wenn es ganz brenzlig wird, d. h. wenn der Fonds die von ihm selbst aufgenommenen Kredite nicht mehr bezahlen könnte, kann sogar der Geschäftsführende Direktor Nachschüsse in der benötigten Höhe von den Mitgliedsländern anfordern.

12) Der Fonds gilt für ewige Zeiten. [Das steht nicht im Text, der Vertrag enthält einfach keine Befristung].

13) Für Hilfen an Länder in Schwierigkeiten sind verschiedene Wege vorgesehen:

– Vorsorgliche Hilfe in Form einer Kreditlinie: das Land kann bei Bedarf Geld bis zu einer bestimmten Höhe abrufen

[vergleichbar einem Dispo-Kredit bei Privatpersonen].

– Hilfen für die Banken eines Mitgliedslandes. Auch dieses Geld wird aber der Regierung gewährt, die also dafür haftet.

[So steht es in dem vom Bundestag beschlossenen Vertrag; auf dem letzten Brüsseler Gipfel ist Angela Merkel aber eingeknickt und hat unseren südländischen “Freunden” zugesichert, dass bei Bankenrettungen das Geld zukünftig direkt an die Banken fließt. Dafür muss aber der Vertrag geändert werden. Falls unsere Bundesabnicker zustimmen (wie zu erwarten ist), haften dann bei “Bankenrettungen” nicht mehr die jeweiligen Staaten für evtl. Verluste.]

– “Darlehen”. Wer diese “Darlehen” bekommt, muss sich einem besonders strengen sog. “makroökonomischen” Anpassungsprogramm unterwerfen, also Reformen im eigenen Staat unternehmen, die das Land von den anderen vorgeschrieben bekommt.

[Das mögen die Schuldnerländer natürlich nicht, also wird man eher die anderen Wege benutzen.]

– Kauf von neu herausgegebenen Staatsanleihen eines Landes direkt von diesem Staat (“Primärmarkt”).

– Kauf von älteren Staatsanleihen eines Landes am sog. “Sekundärmarkt”, also an der Börse oder direkt von Banken, Versicherungen usw., die diese Anleihen halten.

[Das ist ein hübscher Wirrwarr von Hilfskanälen, und heftiger Streit darüber, welches Mittel einzusetzen ist, schon jetzt vorprogrammiert. Gewisse Reformpflichten gibt es zwar bei jedem Programm, aber nicht alle sind gleich streng. Die Krisenländer werden für sich selber natürlich immer jenes Mittel wünschen, das ihnen die wenigsten Verpflichtungen auferlegt.

Der Gouverneursrat kann sich auch weitere Hilfswege ausdenken, aber nur einstimmig.]

12) Geld verdienen soll der Fonds nicht. Die Zinsen für die Länder und/oder Banken, denen er Hilfskredite gibt, soll er so bemessen, dass er seine eigenen Finanzierungskosten (d. h. die Zinsen, die er an seine eigenen Kreditgeber – s. o. Ziff. 3 – zahlt) wieder reinholt, und außerdem seine Personal- und Sachkosten.

[Der Fonds hat also keine fette Spanne wie die Banken sie zwischen Einlagenzinsen – z. B. Sparbuch – und Kreditzinsen – z. B. Dispo – haben. Daran mästet sich natürlich die Bank nicht nur; sie gleich damit vor allem auch Verluste aus, wenn sie Kredite nicht wieder reinholen kann. Da der Fonds ein solches Polster gerade NICHT bilden soll, müssen bei Verlusten immer die Steuerzahler aller Länder einspringen. Und das passiert so:]

13) Wenn der Fonds Verluste macht, wird Geld von den Mitgliedsländern angefordert (s. o. Ziff. 11).

[Das ist eigentlich okay, weil die ja für mehr geradestehen, als sie zunächst tatsächlich einzahlen (technisch gesprochen ist das “genehmigte” Stammkapital höher als das eingezahlte Kapital). Ein Risiko für die “Solidländer” ist jedoch die Bestimmung in Artikel 25 Abs. 2. Wenn nämlich ein oder mehrere Länder die Nachforderungen nicht bezahlen (können oder wollen), müssen die anderen Länder auch DEREN Anteile aufbringen. Manche lesen diese Regelung so, dass Deutschland im Extremfall für ALLE ausstehenden Anteile haften müsste (also 700 Mrd. ./. 80 Mrd. eingezahlte = 620 Mrd.). Es gibt aber in Art. 8 Abs. 5 eine Klausel, wonach jedes Land maximal nur bis zur Höhe seines regulären Anteils haftet. Aus meiner Sicht ist diese Regel vorrangig, aber das ist umstritten. Immerhin: Da Deutschland ursprünglich ca. 20 Mrd. einzahlt , sich aber für 190 Mrd. verpflichtet hat, müsste es selbst nach der günstigeren Auslegung bis zu 170 Mrd. nachzahlen. Das ist schon mehr als der halbe Bundeshaushalt, . Das Käme natürlich nicht auf einen Schlag auf uns zu, aber einige -zig Milliarden auf einmal würden es ggf. schon sein: und die fehlen dann natürlich woanders.]

Allerdings dürfen Länder, die ihren Anteil nicht voll bezahlen, auch nicht abstimmen (Art. 4 Abs. 8).

[Von daher sollte man erwarten, dass letztlich doch alle Länder ihre Einlagen bezahlen werden. Notfalls aus den Krediten, die sie vom ESM erhalten.]

14) Für größere Anschaffungen ist der Fonds von Steuern befreit.

[Manche kritisieren diese Regelung, aber ich finde sie sehr vernünftig und voll in unserem eigenen Interesse. Der Fonds sitzt nämlich in Luxemburg, und wenn er einen Computer kauft, oder ein Verwaltungsgebäude hochzieht, müsste er dort Mehrwertsteuer bezahlen. Da würden also die Luxemburger auf unsere Kosten bereichert, und das wäre nicht gut.]

15) Problematischer ist, dass die Bediensteten immun sind, sie also weder zivilrechtlich noch strafrechtlich verklagt werden können. Da gilt zwar nur in ihrer amtlichen Tätigkeit (wenn einer Kinderficker ist, wäre er also nicht geschützt!). Und diese Immunität kann auch aufgehoben werden. Aber

a) (für die Gouverneure) kann das nur der Gouverneursrat selber tun. Dafür braucht es keine Einstimmigkeit, sondern “nur” 80% der Stimmen.

[Das der Gouverneursrat niemandem sonst Rechenschaft schuldig ist, widerspricht m. E. schon grundlegend jedem Rechtsstaatsverständnis. Zwar wird der ESM damit auf dieselbe Stufe gestellt wie der Bundestag, der ebenfalls Immunitäten nur selber aufheben kann. Aber der ist ja immerhin vom Volke gewählt, der Gouverneursrat nicht.]

b) Noch schlimmer: In dem einschlägigen Art. 35 steht nichts davon, dass die Beschuldigten selbst nicht mitstimmen dürfen.

[Das bedeutet nach meinem Verständnis, dass die Finanzminister = ESM-Gouverneure von Staaten, die mehr als 20% der Stimmen halten (aktuell Frankreich und Deutschland) eine Aufhebung ihrer Immunität verhindern könnten.]

16) Kommt es zu Streitigkeiten über die Auslegung des Vertrages, ruhen die Stimmrechte des streitenden Mitgliedes. (Art. 37)

[Ich denke, das ist vernünftig. Sicher: wenn Deutschland eine Bestimmung anders versteht als die anderen (welche Mehrheit ist da eigentlich im Gouverneursrat erforderlich? Was ist, wenn z. B. auch die Niederlande und Finnland die Bestimmung die D. verstehen, die anderen aber nicht???), ruht sein Stimmrecht – bis zu einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs. Aber m. E. ist der Vertrag ziemlich klar abgefasst, und im Ernstfalle könnte D. beim EuGH hoffentlich eine einstweilige Verfügung auf Wiederherstellung des Stimmrechts erwirken, wenn die Auslegung der anderen offensichtlich unbegründet ist. Dieses Risiko würde ich also nicht überbewerten.]

17) Weitere Länder können (und müssen) diesem Vertrag beitreten, wenn sie der Eurozone beitreten. Die Anteile und die darauf aufbauenden Stimmrechte ändern sich dann natürlich.

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Finanzielle Risiken des ESM für Deutschland:

Mit der (vereinfachten) Vertragsdarstellung sind wir durch. Schauen wir uns nunmehr die (nach meinem Dafürhalten) wesentlichen Risiken an, die der ESM für unseren Staatshaushalt und für uns als Steuerzahler und Bürger mit sich bringt.

A) In rein juristischer Hinsicht teile ich zunächst einmal NICHT die Befürchtung, dass letztlich Deutschland für das ganze genehmigte Stammkapital, also 700,- Mrd. € abzüglich eingezahlte Beträge, haften müsste. Vielmehr sehe ich rein rechtlich die deutsche Haftungssumme aus dem ESM auf 190 Mrd. € begrenzt (s. o. Ziff. 13).

Es ist auch extrem unwahrscheinlich, dass sämtliche Kreditnehmer des ESM pleite gehen würden.Aber wenn es wirklich hart auf hart kommt, würden die Investoren (also jene Leute, die Anleihen des ESM gekauft haben) natürlich versuchen, ihr Geld vollständig zurück zu bekommen. Es würde genau so laufen wie bei Griechenland: “Der Finanzmarkt/Die Märkte” würden drohen, keine Staatsanleihen mehr zu kaufen, wenn die ESM-Forderungen nicht beglichen werden. Und mit Sicherheit würden die Politiker(innen) erneut einkicken.

Außerdem ist zu beachten, dass der ESM und dessen Vorläufer ESFS zunächst parallel laufen, also Mittel aus beiden Programmen abfließen können. Dadurch erhöht sich vorübergehend das Risiko noch um einige -zig Milliarden €.

B) “Eher legt sich ein Hund einen Wurstvorrat an als eine demokratische Regierung eine Budgetreserve” hat der Ökonom Joseph Schumpeter einmal gesagt. Entsprechend wird natürlich auch der ESM-Fonds Begehrlichkeiten auslösen. Nehmen wir an, die Lage hätte sich insgesamt beruhigt, und nach derzeitigem Verständnis wäre kein Land in Bedrängnis. Wenn dann aber z. B. Italien für seine Schulden 5% Zinsen bezahlen muss, und Deutschland zahlt nur 2%, und der ESM ebenso, dann wird Italien sagen: “Aber der Fonds ist doch dazu da, den schwachen Ländern zu helfen. Also müsst ihr uns Kredit zu 3% geben, damit wir nicht soviel Zinsen zahlen”.

Eigentlich wäre das zwar keine Hilfesituation, weil keine Krise vorliegt (Art. 3; meine Hervorhebung): “Zweck des ESM ist es, Finanzmittel zu mobilisieren und ESM-Mitgliedern, die schwerwiegende Finanzierungsprobleme haben oder denen solche Probleme drohen, unter strikten, dem gewählten Finanzhilfeinstrument angemessenen Auflagen eine Stabilitätshilfe bereitzustellen, wenn dies zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt und seiner Mitgliedstaaten unabdingbar ist.”

Aber schon diese Klausel ist das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben steht. Bei einer Insolvenz Maltas oder auch Zyperns wäre nicht zu befürchten, dass die Finanzstabilität der gesamten Eurozone bedroht ist. Aber selbstverständlich wird bzw. würde auch diesen Ländern geholfen werden. Insofern weicht schon jetzt der Vertragstext von der vorhersehbaren Praxis ab. Da wird man später im politischen Ringen natürlich noch weiter gehen – s. o.

Mit anderen Worten: Die Mittel des ESM werden, Krise oder nicht, am Ende höchstwahrscheinlich IMMER weitestgehend ausgeschöpft sein, weil die Problemländer letztlich erwarten, dass der ESM sie zu jenem paradiesischen Zustand zurück führt, wo die Unterschiede der Kreditzinsen für die Staatschuld zwischen soliden und Schlamperländern in der Eurozone praktisch verschwunden waren. Auf die Wiederherstellung dieser Lage, werden die Südländer (etwas verschleiert) sagen, haben wir ein Anrecht!

Wenn also nach einer vorübergehenden Beruhigung eine neue Krise kommt, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit die ‘Wurstvorräte’ längst verschwunden sein, und die Steuerzahler müssen nachlegen. Was in einer Finanzkrise besonders schwierig ist.

Dieses Szenario ist natürlich spekulativ. Sehr viel früher werden die Fondsmittel durch einen ganz anderen Mechanismus verschwinden: durch die Bankenrettung.

Selbst wenn man unterstellt, dass die anderen (Süd-)Staaten sich nach einer vorübergehenden Schwächephase wieder berappeln, und (anders als Griechenland) die Kredite zurückzahlen, bleibt das Problem der Bankenrettung.

Nach geltender Regelung haften dafür die jeweiligen Nationalstaaten. Gerade diese Regelung hat Angela Merkel auf dem Brüsseler Gipfel am 28./29.06.2012 jedoch ausgehebelt. Sie hat dem Drängen der Ministerpräsidenten Mario Monti (Italien) und Mariano Rajoy Brey (Spanien) nachgegeben und einer DIREKTEN Bankenrettung zugestimmt.

Das bedeutet, dass der ESM solche Hilfen nicht mehr ( wie aktuell im Artikel 15 noch vorgeschrieben) an die Staaten bezahlt, sondern unmittelbar an die Banken. Die Heimatstaaten der Pleitebanken haften dann auch nicht mehr für diese Gelder. Das erfordert natürlich eine Vertragsänderung, und der müsste erst der Bundestag zustimmen. Doch wer bezweifelt, dass das organisierte Euhaftungsganoventum um Wolfgang Schäuble und Angela Merkel unseren Bundestagsabgeordneten auch dafür die Zustimmung abtrotzen wird? Immerhin würde vielleicht die Regierungskoalition für eine solche Vertragsänderung keine eigene Mehrheit bekommen. Aber die scheinoppositionellen roten und grünen Arbeiterverräter und Kapitalisten-Quislinge, die schon immer darauf gedrängt haben noch mehr von den Steuergroschen des werktätigen Volkes für die Reichen im Süden rauszuhauen, werden Merkel die Mehrheit frei Haus liefern.

Nur: wenn es ans Bankenretten geht, fallen definitiv Verluste an. Zwar sind USA bei ihrem sog. TARP-Programm recht glimpflich davongekommen. Aber Deutschland hat bei seinen Landesbanken erlebt, dass die Bankenrettung ein dickes Minusgeschäft sein kann, und bei den Banken in Zypern, Slowenien, Irland (wo der Staat schon haftet, aber rückwirkend entlastet werden soll!) und Spanien wird es nicht anders (eher schlimmer) sein.

Die Begründung für die Haftungsfreistellung der Staaten lautet, dass man die Bankenschulden und Staatsschulden “entkoppeln” will, aber das ist Quatsch. Spanien hat unter 80% Staatsverschuldung, also im Moment sogar noch weniger als Deutschland (gut 80%). Italien hat – ohne Bankenrettung – 120% Staatschulden (immer bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt), also 50% mehr als Spanien. Also ist die Belastung für Italien weitaus größer als für Spanien.

Was die vorhersehbaren Verluste aus Bankenrettungen anbelangt ist zu bedenken, dass es ja eines der offiziellen Ziele dieser Aktion ist, jene Banken zu liquidieren, die am Markt nicht lebensfähig sind. Damit sind also von vornherein Verluste vorprogrammiert, denn Banken, die nicht überschuldet sind, wird (unabhängig von der längerfristigen Tragfähigkeit des Geschäftsmodells) kein Mensch liquidieren; da würde schon die Rechtsprechung (Eigentumsschutz) dazwischen gehen.

Am Ende werden es die Italiener nicht einsehen, dass die Spanier günstiger gestellt werden als sie. Und wirtschaftlich gibt es dafür auch keine Begründung: Woher die Staatsschuld kommt, ist für die sog. “Schuldentragfähigkeit” völlig gleichgültig.

Der Tendenz nach rutschen wir also Stück für Stück in Richtung einer Gemeinschaftshaftung für die (bzw. anfänglich “nur”:) einen Teil der europäischen Staatsschulden. Und bei jeder größeren, und im Laufe der Zeit auch kleineren, Krise wird man das Kapital des ESM anpassen.

Aus der (zukünftigen) Aufgabe einer direkten Bankenrettung ergibt sich ein weiteres Risiko. Die notleidenden Kredite werden zweifellos in eine oder mehrere “Bad Banks” ausgelagert. Diese ‘Schlechtbank’ hält dann also z. B. Hypotheken, die zumindest momentan nicht bedient werden. Vielleicht stundet sie die Rückzahlung, vielleicht bekommt sie auch gar kein Geld mehr, aber dafür das Haus, das mit der Hypothek finanziert wurde. Wie bewertet sie dieses “Asset”? Wann und zu welchem Preis wird sie es wieder los, wenn überhaupt, und was kostet sie inzwischen die Verwaltung, evtl. Vandalismusschäden usw.?

Hier ist viel Spielraum für buchhalterische “Kreativität”, und am Ende könnte es zu bösen Überraschungen für den ESM kommen – und damit für die Steuerzahler, wenn Wertberichtigungen zu lange hinausgeschoben werden (wie es viele Banken gemacht haben und noch tun).

Aber auch von der Höhe her werden wahrscheinlich ganz andere Summen auf den ESM zukommen, als sie jetzt z. B. für Spanien im Gespräch sind. Wenn man verschiedenen Berichten glaubt, reichen die bisher offiziell ermittelten 60 Mrd. € bzw. maximal 100 Mrd. € nicht vorne und nicht hinten. Und weil bisher in Sachen Eurokrise noch immer die pessimistischte Annahme die zutreffende war, darf man allein für die “Rettung” der spanischen Banken gut und gerne MEHRERE hundert Milliarden Euro veranschlagen. Bei einer aktuellen Ausleihkapazität des ESM von 500 Mrd. € werden also dessen Mittel schon sehr bald erschöpft sein – selbst wenn tatsächlich oder auf dem Papier zunächst noch keine Verluste anfallen sollten.

Weniger ein wirtschaftliches als ein rechtsstaatliches Problem ist die Immunität der Bediensteten.

Die FDP-Fraktion begründet diese Regelung (Art. 35) auf ihrer Webseite wie folgt:

“Der Gouverneursrat des ESM, in dem die Finanzminister der Mitgliedstaaten der Eurozone vertreten sind, bzw. der Geschäftsführende Direktor können die Immunität der Amtsträger und Bediensteten bei Bedarf aufheben. Vergleichbare Regelungen gelten u.a. für den IWF, die Weltbank sowie regionale Entwicklungsbanken wie z.B. die Afrikanische Entwicklungsbank (AfDB) und die Asiatische Entwicklungsbank (ADB). Sinn und Zweck ist es, die Unabhängigkeit und die Funktionsfähigkeit der Organisation zu gewährleisten. So soll zum Beispiel verhindert werden, dass ein Staat, der mit der Entscheidung einer internationalen Organisation nicht einverstanden ist, diese Entscheidung durch gerichtliche Verfahren oder staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren boykottiert.”

Okay, auf der einen Seite kann man das nachvollziehen. Aber andererseits geht es hier ja nicht um die Welt, sondern um die Eurozone. Und da müssten eigentlich, wenn’s ums Geldausgeben geht, die Entscheider sich zumindest im Prinzip für Fehlverhalten auch vor einem Gericht verantworten. Es widerspricht unserem Rechtsstaatsdenken, dass die z. B. mich verklagen können, ich aber nicht die. Nehmen wir an, ich nenne einen Handelnden des ESM bestechlich, und diese Bezeichnung beziehe sich eindeutig nur auf seine Tätigkeit beim ESM. Dann kann der gegen mich Strafanzeige wegen Beleidigung o. ä. erstatten. Wenn ich jetzt behaupte: Du warst bei Berlusconi auf einer Bunga-Bunga-Party, und deshalb hast du dafür gestimmt, dass Italien einen ESM-Kredit bekommt, dann könnte der vor Gericht behaupten: Nein, ich war nicht auf der Party. Bei einem normalen Kläger herrscht insofern “Waffengleichheit”, als ich, falls er gelogen hätte, Strafanzeige wegen Prozessbetrug erstatten könnte.

Anzeige kann ich natürlich auch gegen ESM-Bedienstete erstatten, aber die Justiz darf nicht ermitteln, solange der Fonds nicht die Immunität aufhebt. Das halte ich für eine Verletzung fundamentaler rechtsstaatlicher Grundsätze.

Noch problematischer (und aus meiner Sicht vom Bundesverfassungsgericht selbst dann nicht zu akzeptieren, wenn es den Vertrag ansonsten “durchwinken” sollte) ist aber der Umstand, dass die Finanzminister von Ländern mit einer “Sperrminorität” (d. h. Länder, die Entscheidungen verhindern können, die nur mit sehr großer Mehrheit gefasst werden dürfen) von einer evtl. Entscheidung über die Aufhebung ihrer eigenen Immunität nicht ausgeschlossen sind (vgl. dazu oben unter Ziff. 15). (Zumindest nicht laut Vertragstext; sollte ein Ausschluss nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen gegeben sein, kann sich die Sache anders darstellen. Ich kenne keine, aber ich bin ja auch kein Jurist.)

Schließlich würde der Kapitalanteil Deutschlands bei einem Beitritt neuer Mitglieder verwässert, d. h. prozentual würde er sinken. Falls eines Tages Deutschlands Anteil auf unter 20% absinken sollte, hätte unser Land seine “Sperrminorität” verloren, d. h. könnte es die 80%-Mehrheitsentscheidungen (“qualifizierte Mehrheit”) nicht mehr verhindern. Aber immerhin erfordern Kapitalerhöhungen ja Einstimmigkeit; von daher wäre auch das nicht extrem tragisch zu sehen. Zumal Frankreich mit seinem die 20%-Marke nur wenig übersteigenden Anteil schon lange vor uns “dran” wäre; und den Franzosen würde das auch nicht schmecken.

Eine weitere – hoffentlich nur theoretische – Gefahr könnte sich im Artikel 10 Abs. 1 verstecken. Nach dieser Regelung tritt eine Kapitalerhöhung (die zuvor der Gouverneursrat einstimmig beschließen musste) erst dann in Kraft, wenn die Mitgliedsländer dem ESM “den Abschluss ihrer jeweiligen nationalen Verfahren NOTIFIZIERT haben”. Hier steht also nichts davon, dass die Länder eine BILLIGUNG durch die Parlamente mitteilen müssen. Lehnt ein Parlament ab, ist das Verfahren in dem jeweiligen Land ja ebenfalls abgeschlossen. Spitzfindig könnte man also annehmen, dass die vom Gouverneursrat beschlossene Kapitalerhöhung dann trotzdem wirksam wird.

Nun sollte es ja eigentlich vorn vornherein nicht zu einer Erhöhung kommen, ohne dass der Bundestag zugestimmt hat. Insoweit ist mir das genaue Verfahren unklar: Entscheiden erst die Gouverneure, und dann das Parlament, oder machen die Gouverneure nur einen Vorschlag, und beschließen diesen erst nach der Entscheidung der Parlamente?

Wenn die Zustimmung des deutschen Vertreters von einer Parlamentsentscheidung abhängig sein sollte (um das herauszufinden, müsste man sich wohl die einschlägigen Begleitgesetze anschauen), dürfte es bei normalem Ablauf kein Problem geben. Ggf. lehnt das Parlament ab, und der deutsche Gouverneur lehnt im Gouverneursrat eine Kapitalerhöhung ab. Theoretisch kann es natürlich passieren, dass er durchdreht und doch zustimmt. Er könnte das z. B. im Vertrauen auf seine Immunität tun, wobei sich dann die Frage stellt, ob er in amtlicher Funktion für den ESM gehandelt hat und somit immun ist, oder ob er als deutscher Vertreter abgestimmt hat, und dann für sein Verhalten zur Rechenschaft gezogen werden kann.

Das sind hübsche Fragen für juristische Hausarbeiten. Ich persönlich bin der Überzeugung, dass man bei einer bona fide-Auslegung (einer Auslegung im guten Glauben, nach den Regeln gegenseitigen Vertrauens) unter der “Notifizierung” (Benachrichtigung) vom Verfahrensabschluss eine und allein eine Benachrichtigung über die Zustimmung der nationalen Parlamente verstehen darf.

Diese formale Dimension erscheint mir also weniger problematisch als die aufgrund unserer bisherigen Erfahrungen schon jetzt absehbare politische Dynamik: Dass eben unsere Abgeordneten wieder und wieder mit dem Hinweis auf die angebliche Alternativlosigkeit einer Euhaftungserweiterung, und “weil Deutschland doch so sehr von dem Euro profitiert” und “weil wir doch schon so viel Geld für die Rettung ausgegeben haben, dass ein Ausstieg zu teuer wird” dem schlechten und eigentlich schon verlorenen Geld immer mehr gutes Geld hinterher werfen werden.

Es ist unverantwortlich, wenn eine Reihe von deutschen Ökonomen jetzt beschwichtigt und so tut, als könnten wir die Krise mit dem ESM in seiner aktuellen Dimension lösen. [Zum sog. “Ökonomenstreit” vgl. meinen Blott “15 Voodoo-Ökonomen umtanzen die ‘Schuldenkrise’ der Eurozone”.]

Tatsächlich haben Experten nämlich schon weit höhere Summen für eine “Rettung des Euro” gefordert: 2 Billionen und mehr, also ein 4-faches der Fondsmittel. (Vgl. z. B. meinen Blott “Griechenmund tut Wahrheit kund”, wo ich zwei – in den USA lehrende – griechische Ökonomen zitiere, welche die Eurettungskosten mit “mehreren Billionen” Euro beziffern!).

In diesem wirtschaftlich-finanziellen Bereich liegt, mehr als im Rechtlichen, die ESM-Problematik. Mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit ist der Fonds schon jetzt lächerlich niedrig*bemessen und wird am Ende weitaus mehr Mittel verschlingen. Er wird zu einem ständigen politischen Kampf zwischen den Völkern Europas führen, und er wird die Reformanstrengungen der Problemländer erlahmen lassen, indem er immer mehr zur Hängematte für den Süden auf Kosten des Nordens ausgebaut werden wird.

* (im Verhältnis zu den zu erwartenden Kosten; für unseren Staatshaushalt ist er längst zu hoch!)

Panikmache? Kommt alles nicht so schlimm?

Das hat man damals auch jenen Wirtschaftswissenschaftlern entgegen gehalten, die sich gegen die Einführung einer gemeinsamen Währung ausgesprochen haben.

Gekommen ist es genau so schlimm, wie die es vorhergesagt haben.

Und diesmal wird alles noch schlimmer kommen, weil das ganze europäische Gefüge durch den Währungsstreit einen enormen Knacks bekommen hat. Das ist nicht mehr eine rein wirtschaftliche Sache; die Völker wollen raus aus der Zwangsjacke. Gleichzeitig aber will die Politik sie immer fester einbinden. Das wird nicht funktionieren – politisch nicht, ökonomisch nicht, und fiskalisch werden wir einen totalen Ruin, bzw., realistischer, eine totale Inflation erleben, weil die Politiker eine Finanzierung “hinten rum”, über die EZB, betreiben werden.