Bildertheater: Die «Norma»-Inszenierung im Zürcher Opernhaus (0)
Ein trauriger Tag in Zürich, ich musste eine billige Karte aufbrauchen. Limitierte Sicht, aus der man aber etwas machen kann, ich konnte in der dritten Reihe aufstehen. Die Oper war es wert. Ausverkauft noch dazu.
Ästhetik, Lichtkunst, minimalistische Bewegungen – schon bevor die Handlung einsetzt, wird deutlich, worauf die Faszination von Robert Wilsons «Norma»-Inszenierung im Zürcher Opernhaus beruht. Lange bleibt es schwarze Nacht. Nur ein Lichtkreis erhellt die Bühne, beginnt zu rotieren, verdoppelt und vervielfacht sich, eine schlanke Gestalt in blauviolettem Gewand mit turmartig hochgestecktem schwarzem Haar schreitet sehr langsam über die Bühne: Norma, die Seherin und Priesterin. Damit beginnt jenes wundersame Spiel aus Lichtobjekten, Farbwechseln, abstrakten Formen und stilisierten Bewegungen, das der der Musik Raum gibt. Oft sind es keine Bewegungen sondern Figuren, Bilder statt Bewegung, Foto statt Film.
Wilso studierte Malerei und Architektur, fand zum therapeutischen Bewegungstheater der berühmten Byrd Hoffman, erlebte seine psychische Erlösung, tauchte befreit ab in die Boheme und wurde Künstler – Dichter, Bühnenbildner, Regisseur. Und rasend schnell bekannt mit dem seinerzeit einzigartigen Bilder-Theater, das in suggestiver Langsamkeit das Dramatische zelebriert. Wilson avancierte mit seiner Theatermanufaktur, als Verkaufs- und Kommunikationsgenie mit ingeniöser Erfindungsgabe, verquickt die Avantgarde und klassischen Expressionismus.
Natürlich lässt sich Vincenzo Bellinis Oper wie immer heute erzählen. «Norma» als feministische Geschichte einer hochgestellten Frau, die aus einer illegalen, geheim gehaltenen Beziehung zwei Kinder hat, ihren Geliebten, der einer anderen, patriarchalen Kultur entstammt, an eine Jüngere verliert und mit dieser einen auf Verzicht, Vertrauen und Verstehen gründenden matriarchalen Bund schliesst.
Doch eine solche, psychologisch und aus der banalen Frauenabteilung argumentierende Interpretation, ja Interpretation überhaupt ist Wilsons Sache nicht. Meine auch nicht. Ihm geht es allein um die Form, um den durch die Musik strukturierten Zeitverlauf, um den Stimmungsgehalt, den er mit der melodischen und rhythmischen Struktur des Werkes und dem Bewegungsablauf assoziiert.
Akzeptiert man diesen Ansatz, so erweist sich Bellinis Meisterwerk als ideales Objekt für Wilsons szenische Visionen. So gleitend die Übergänge, so vieldeutig die Bilder sind – die Lichtobjekte im Hain der Druiden etwa lassen sich als Augen, Schilde oder einfach als Lampen deuten –: es gibt in jedem der zwei Akte auch Fixpunkte, im ersten den riesigen, schwarz schimmernden Trichter als Symbol der von Norma in der berühmtesten Arie der Oper als «casta diva» besungenen Mondgöttin, im zweiten Akt die schwarze Zelle der Priesterin. Als sich Norma und Adalgisa einander offenbaren, bricht dieses pyramidenförmige Gehäuse auf und zeigt ein hell leuchtendes kristallines Inneres, beim Erscheinen des gemeinsamen Geliebten Pollione beginnen die einzelnen Teile bedrohlich zu kreisen. Die Haupteigenschaft von Wilsons Bühne aber ist, dass sie Räume schafft für die Musik, und zwar auf eine Weise, die sowohl der sublim elegischen Grundstimmung dieser Musik wie ihrer dramatischen Akzentuierung kongenial entspricht. Unter der Leitung von Paolo Carignani füllt das Orchester der Oper Zürich diese Räume mit sattem, doch transparentem Klang, hoch konzentriert, rhythmisch geschmeidig, in optimaler Abstimmung auf die Stimmen des Sängerensembles.
In diesem ist Elena Moeuc die überragende Erscheinung. Sie geht die Partie der Norma, die Krönung einer Laufbahn als Koloratursopranistin, ganz aus der Belcanto-Tradition an. Makellos ihr Tonansatz, warm und geschmeidig der Klang ihrer Stimme, berückend das Piano, virtuos das Wechselspiel von Crescendo und Decrescendo, perlend die eingestreuten Fiorituren, auch die tiefen Töne tragend, ohne dass sie die Sängerin eindunkeln müsste. Und nicht zuletzt erweist sich Moeucs eminente Musikalität darin, wie sie sich, von Moidele Bickel wunderschön blau kostümiert, die stilisierte Gebärdensprache und Motorik des Regisseurs zu eigen macht. Ein Charakterbild dieser Rolle, die erst Maria Callas zur heroischen Gestalt von Medea-Format gemacht hat, ist bei Wilson nicht gefragt, und das kommt Elena Moeuc zustatten.
Nun «Norma» ist eigentlich ein Frauenstück, die Titelfigur in Blau und Adalgisa in Rot werden im zweiten Akte einander näher als ihrem gemeinsamen Geliebten Pollione. Michelle Breedts warmer, satter Mezzosopran kontrastiert zwar dank seiner dunkleren Tönung mit Moeucs Sopran, doch im grossen Duett verschmelzen die Stimmen so harmonisch man meint Interferenzen zu hören. Grossartig, das Licht, die Farbe und die Töne. Man könnte sich die Erscheinung der Novizin ganz in Rot, die in ihrem Gewissenskonflikt bei der Oberpriesterin Rat sucht, heller, jugendlicher wünschen und Pollione als eleganten Römer, was er hier nicht einmal ansatzweise ist. Es sind die Bilder und – nun ja – die Frauen die diese Oper ausmachen und natürlich die Musik. Frenetischer Beifall – zu Recht.