Israel ist nicht nur der Dauerpropaganda seiner direkten Feinde im nahöstlichen Umfeld, sondern immer häufiger auch einer delegitimierenden Kritik jener ausgesetzt, die sich seine Freunde nennen. Es hat den Anschein, als werde Israel immer weiter in die internationale Isolation gedrängt. Nicht nur muss sich der jüdische Staat massiven Propagandakampagnen seiner ärgsten Feinde im Nahen Osten erwehren, die nach der Konfrontation mit der Gaza-Flottille einen neuen Höhepunkt erreichten. Zu seinen erbitterten Gegnern muss man dabei neuerdings wohl auch die Türkei zählen, einst ein enger Partner Israels. Doch auch in der westlichen Öffentlichkeit wird Israel zunehmend wie ein notorischer Störenfried dargestellt, der im Umgang mit seinen Nachbarn nur die Sprache der Gewalt kenne und sich böswillig über alle internationalen Friedensappelle und -initiativen hinwegsetze.
Man muss aber kein bedingungsloser Verteidiger israelischer Regierungspolitik sein, um in dieser Dämonisierung Israels ein grobes Zerrbild zu erkennen. Gewiss, Israel war niemals und ist auch heute nicht ohne Schuld daran, dass der Dauerkonflikt um die palästinensischen Gebiete ungelöst bleibt. Doch wer wie die Europäer – und zuletzt der Deutsche Bundestag mit einer einstimmigen Resolution zur Aufhebung der Gaza-Blockade – von Israel ultimativ Veränderungen seiner Sicherheitspolitik verlangt, müsste irgendwann einmal mit realistischen Alternativszenarien aufwarten. Erfahrungen wie jüngst die mit der EU-geführten Friedenstruppe Unifil in Libanon sind jedenfalls nicht dazu angetan, Israels Vertrauen in Abhilfe von aussen zu fördern. Obwohl Unifil die Wiederbewaffnung des islamistischen Hisbollah verhindern sollte, hat dieser mit iranischer und syrischer Hilfe sein Arsenal gegen Israel gerichteter Raketen ungerührt auf 40 000 aufgestockt.
Bisweilen durchaus berechtigte Kritik an Israels Siedlungs- und Sicherheitspolitik kann nicht davon abstrahieren, dass das Land seit dem Moment seiner Gründung im Jahre 1948 bis heute unter der akuten Vernichtungsdrohung verschiedener Mächte in der Region stand und steht. In drei Kriegen musste es sich gegen arabische Armeen, die mit der erklärten Absicht aufmarschiert waren, den jüdischen Staat auszulöschen, sowie gegen unzählige Terrorwellen behaupten.
Die Gebiete, die Israel im Zuge dieser Verteidigungskriege besetzt hat, hat es zu einem grossen Teil inzwischen wieder geräumt – zunächst den Sinai, zuletzt den Gazastreifen, von wo aus israelisches Gebiet seitdem fortlaufend mit Raketen beschossen wird. Und auch die Bedingungen für die Rückgabe des Westjordanlands als Voraussetzung für die Gründung eines Palästinenserstaates sind bis auf wenige, wenn auch wichtige Details – wie der zukünftige Status Jerusalems – im Wesentlichen bereits ausgehandelt. Positive Gesten Israels werden dabei stets allenfalls als «unzureichend» zur Kenntnis genommen. Kaum ins Bewusstsein der westlichen Öffentlichkeit drang etwa, dass die israelische Regierung in jüngster Zeit im Westjordanland zahlreiche Checkpoints aufgehoben und dort damit einen kleinen Wirtschaftsboom mit einer Wachstumsrate von 6 Prozent ermöglicht hat.
Es kann jedenfalls keine Rede davon sein, dass Israel die besetzten Gebiete um jeden Preis halten wolle. Im Gegenteil, die grosse Mehrheit der Israeli würde sie lieber heute als morgen gegen Frieden eintauschen. Doch solange das Land von Kräften wie der Hamas existenziell bedroht wird, die wie ihr Mentor Iran eliminatorischen Judenhass propagiert und zu keinem Kompromiss mit dem jüdischen Staat bereit ist, gibt es dafür kaum Spielraum. Zumal auch die «gemässigte» PLO-Führung, die mit der Hamas in einem unversöhnlichen Machtkampf liegt, an der Option des bewaffneten Kampfes festhält.
Unter dem Eindruck der Dauerpropaganda gegen Israel hat sich die westliche Wahrnehmung Israels weitgehend auf dessen Konflikt mit den Palästinensern verengt. Seiner Verleumdung als ein «kolonialistischer Siedler-» oder gar «Apartheidstaat», der in ähnlicher Weise boykottiert und stigmatisiert werden müsse wie einst Südafrika, wird auch bei uns des Öfteren Glauben geschenkt. Aber auch wenn arabische Israeli, die im Gegensatz zu den Schwarzen in Südafrika eine Minderheit von 20 Prozent stellen, in der israelischen Gesellschaft immer noch Benachteiligungen – etwa beim Landerwerb – ausgesetzt sind, geniessen sie dort doch ein unvergleichlich höheres Mass an demokratischen Freiheiten und politischen Rechten, an Wohlstand, medizinischer Versorgung und Bildungsmöglichkeiten als in den umliegenden arabischen Diktaturen. Und der Lebensstandard in den palästinensischen Gebieten – Gaza eingeschlossen – übersteigt bei allen Härten den in arabischen Nachbarstaaten. So liegt die Alphabetisierungsrate weit höher, die Kindersterblichkeit weit niedriger als etwa in Ägypten,
Besonders erfolgreich verbreitet wird die Legende, der Staat Israel sei auf der «Vertreibung» der palästinensischen Bevölkerung errichtet worden und seine Gründung sei daher an sich schon zu korrigierendes Unrecht. Sein Echo findet dies darin, dass kein europäischer Politiker sich heute mehr zum Existenzrecht Israels bekennt, ohne sogleich das Recht auf einen palästinensischen Staat zu betonen. Nun ist die Zwei-Staaten-Lösung zweifellos ein Gebot politischer Vernunft und Gerechtigkeit. Die Suggestion jedoch, ohne die Gründung eines solchen Staates verliere auch der Staat Israel seine Legitimation, ist eine Irreführung.Israel wurde durch eine Abstimmung der Uno ins Leben gerufen – kein anderer Staat der Welt besitzt eine solch starke Legitimierung durch die internationale Gemeinschaft. Die Vorgeschichte seiner Gründung, die jüdische Siedlungswelle erst im Rahmen des Osmanischen Reichs, dann des britischen Mandatsgebiets Palästina in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts jedoch als eine feindliche Invasion intakten arabischen Gebietes hinzustellen, ist eine grobe Vereinfachung. Teile der arabischen Clans, die damals in Palästina das Sagen hatten, kooperierten durchaus bei dieser jüdischen «Landnahme». Erst die in den zwanziger Jahren entstandene palästinensische «Nationalbewegung», die später mit Hitler-Deutschland kooperierte, schürte den Hass gegen jegliche jüdische Präsenz in Palästina.
Wenig bekannt ist, dass es dort bereits Ende der zwanziger Jahre antijüdische – und keineswegs nur «antizionistische» – Pogrome gab. Auch jüdische Extremisten wendeten freilich Gewalt an, und nach dem Überfall arabischer Armeen unmittelbar nach der Gründung Israels kam es infolge der Kriegshandlungen zu israelischen Übergriffen gegen arabische Zivilisten. Einen systematischen israelischen Vertreibungsplan gegen die palästinensische Bevölkerung aber hat es nie gegeben. Die meisten Palästinenser verliessen auf Druck und wegen falscher Versprechungen arabischer Führer das israelische Hoheitsgebiet. Wenn die palästinensische Seite jedoch auf ein pauschales «Rückkehrrecht» pocht, müsste auch von den 800 000 Juden gesprochen werden, die seit Israels Staatsgründung aus den arabischen Ländern vertrieben und vom jüdischen Staat integriert wurden.
Statt sich auf derartige Aufrechnungen einzulassen, sollte der Westen aber endlich wieder seine Augen für die enormen, beeindruckenden Leistungen öffnen, die das moderne Israel vollbringt. Weit davon entfernt, sich wegen der Bedrohungen im Nahen Osten einzuigeln und in Paranoia zu erstarren, wie es innerisraelische linke Kritiker der westlichen Öffentlichkeit weismachen wollen, gehört der jüdische Staat heute zu den erfolgreichsten Wirtschaftsnationen der Welt. Dabei hat Israel seine demokratische, rechtsstaatliche und pluralistische Ordnung bewahrt – auch wenn sich der innergesellschaftliche «Kulturkampf» zwischen säkularen und ultrareligiösen Kräften verschärft. Die israelische Gesellschaft weist dabei eine multiethnische Vielfalt auf, wie sie sonst wohl nur noch in den USA zu finden ist.
Israel ist ein Aushängeschild dafür, was eine freiheitliche Demokratie auch unter schwierigsten Bedingungen erreichen kann. Sollten seine Nachbarn ihre hasserfüllte Ablehnung des jüdischen Staats einmal aufgeben, könnte er schnell zum Turbo einer ungeahnten Prosperität in der gesamten Region werden. Der Westen sollte sich deshalb davor hüten, den Staat Israel aus falscher Rücksichtnahme auf «die islamische Welt» wie eine Art Schandfleck zu behandeln, und ihm die Unterstützung und Sympathie zukommen lassen, die er sich durch seine aussergewöhnlichen Errungenschaften verdient hat.
Gekürzt.Quelle NZZ Richard Herzinger ist politischer Korrespondent der «Welt» und der «Welt am Sonntag» in Berlin