Der augenblickliche Stand der Berichterstattung über die Krise der europäischen Währungsunion ist irgendwie gespenstisch. Während Spitzenpolitiker in Regierung und Opposition nicht müde werden, zu behaupten, dass die Krise eigentlich vorbei sei, dass die Politik der Rettungspakete nun greife und alles gut werde, wenn nur an dieser Politik festgehalten würde, lassen sich trotz aller Bemühungen der Politik gegenteilige Berichte in den sonst sehr kooperativen deutschen Medien nicht immer unterdrücken, z. B. im Focus.

Ebenfalls im Focus bekam letztens „Mr. Dax“ Dirk Müller breiten Raum bei seiner fundamentalen Kritik an der Euro-Währungsunion in ihrer derzeitigen Gestalt:

„Wer heute noch das Wort redet für den Erhalt eines Euro, so wie er ist, der ist der eigentliche Gegner Europas. Offene Grenzen, ein freier Handel – das alles hat nichts mit einer gemeinsamen Währung zu tun. Für viele Mitgliedsländer ist der Euro ein gigantischer Ballast. Also muss ich doch überlegen, ob es nicht besser ist, Alternativen zu schaffen.“

Müller ist sich natürlich im Klaren darüber, dass die Folgen einer gescheiterten Währung gravierend sind, wie viele Euro-Skeptiker ist er aber wohl auch der Meinung, dass die anzunehmenden schlimmen Auswirkungen eines Scheiterns keine Immunisierung der bestehenden Konstruktion der Währungszone vor Änderungen bedeuten darf. Alternativen müssen her, es kann nicht sein, dass sich die Politik darin erschöpft, immer größere Transferzahlungen vom Norden in den Süden zu leisten für magere Versprechungen auf Strukturreformen in Staaten, die als souveräne Einheiten und durch eigene Parlamente legitimiert jedwede Reformpolitik sofort wieder beenden können. Auf der anderen Seite gehört die utopische Vorstellung eines ganz schnell entstehenden europäischen Bundesstaates, der die Interessen aller in ihm zusammengefassten Bevölkerungen ausgleichen kann, eher in die Sparte „absurdes Theater“.

Es gibt inzwischen Ausstiegs- bzw. Umstrukturierungskonzepte, die durchaus diskutabel sind. Hier sind z. B. die Ökonomen Wilhelm Hankel oder Thomas Mayer zu nennen, die mit Konzepten von Euro-Parallelwährungen für einzelne oder alle Euro-Staaten versuchen, einen Weg aus der Euro-Sackgasse aufzuzeigen. Aus der Sicht der Euro-Skeptiker sind die Probleme einer Umstrukturierung oder Änderung der Eurozone durch Verminderung der Mitgliederzahl oder einer langsamen Umwandlung in ein System von Parallelwährungen nichts im Vergleich zu der immer unverantwortlicheren Republik der Schuldenmacher und Geldentwerter, zu der sich unser Gemeinwesen inzwischen mit atemberaubendem Tempo hin entwickelt.

Den ab und zu auch über die Mainstreammedien verbreiteten kritischen Aussagen steht aber eine sehr viel größere Anzahl an Pro-Euro-Statements gegenüber. Es handelt sich um Aussagen von Journalisten und Politkern, hier sehr oft ehemalige Amtsträger oder Personen vor allem der dritten bis vierten Garnitur, die in Presse, Funk und Fernsehen, in Artikeln, Talkrunden und Zeitungsinterviews den Euro in seiner derzeitigen Form wortreich und zum Teil geradezu inhaltslos verteidigen. Einer sachlichen Diskussion über mögliche Wege aus der Krise wird mit zum Teil hanebüchenen Argumenten aus dem Weg gegangen. Die Diskussionen nehmen auf diese Weise sehr oft einen unfairen und hysterischen Verlauf, in denen auf den meistens einzigen Vertreter einer euroskeptischen Richtung mit Wonne eingeprügelt wird.

Anhand verschiedener Zitate sollen kurz die unterschiedlichen Argumente aufgezeigt werden, die in den Diskussionen und Zeitungsinterviews zur Sprache kommen, um jede Diskussion über wirkliche Alternativen zur bestehenden Gestalt der Währungsunion von Anfang an abzuwürgen.

 

•          Das Parade-Argument der Euro-Befürworter schlechthin lautet, Deutschland profitiere am meisten vom Euro.

O-Ton Kanzlerin Merkel im Jahre 2011:

„Deutschland profitiert vom Euro wie kaum ein anderes Land. (…). Wir profitieren von der Preisstabilität. Wir profitieren davon, dass wir beim Reisen keine lästigen Umtauschgebühren mehr bezahlen müssen.”

Und natürlich, so die Kanzlerin, würden die Unternehmen  von Exporten in andere Euro-Länder profitieren. Das Deutschland-Profitiert-Argument darf in keiner Diskussion zur Euro-Krise fehlen. Es ist sicherlich richtig, dass ein schwach bewerteter Euro der deutschen Exportindustrie von Nutzen war. Nur: die deutsche Exportindustrie ist nicht Deutschland. Diese Aussage über die Vorteile der Währungsunion ist eine verengte Sichtweise, und es wird nicht wenige Politiker geben, die dieses Argument wider besseres Wissen bis zum Gehtnichtmehr wiederkäuen.

Eine ehrliche Bestandsaufnahme kommt aber zu folgendem Ergebnis: Es ist schon zweifelhaft, ob der gesteigerte Export immer etwas mit dem Euro zu tun hatte, zumal der Euro im Vergleich zum US-Dollar nicht immer schwach war, sondern auch starke Phasen hatte. Ein Exportland wie Schweden konnte in den letzten Jahren ein Außenhandelswachstum verbuchen, das gemessen am BIP sogar die deutschen Ausfuhren übertraf. Schweden ist zwar im EU-Binnenmarkt, hat aber eine eigene Währung, der Euro-Faktor fällt hier weg.

Mit Einführung des Euro 1998 kam es zu massiven Kapitalabflüssen in andere Eurozonen-Länder, was in Deutschland die Investitions- und Wachstumsrate sinken ließ und die Arbeitslosenzahl im Vergleich zu den anderen Eurozonen-Ländern überdurchschnittlich erhöhte. Gerade anhand des Wirtschaftswachstums lassen sich die Argumente vom angeblichen Profit hinterfragen. Wie kann es sein, dass Deutschland bis 2008 von allen Eurozonen-Ländern bis auf Italien die schlechteste Wachstumsrate hatte, wenn es doch ein Gewinner der Euro-Einführung war?

Gesamtgesellschaftlich betrachtet ging es Deutschland mit Einführung des Euros nicht besser, was die Arbeitslosenzahlen anging, eher schlechter. Das Endlos-Mantra vom Euro-Profiteur Deutschland ist so nicht zu halten, zumal der Export in die Eurozonen-Länder auch noch von Deutschland auf Kredit finanziert wurde. Deutschland gleicht in dieser kranken Währungsunion dem Schankwirt, der seine Gäste dauernd anschreiben lässt und am Monatsende feststellen muss, dass seine Gäste zwar gerne gezecht, aber nie gezahlt haben. Einen wirklichen Gewinn machen hier nur die Bierbrauer, der Wirt ist pleite.

 

•          Die Nationalismus-Keule: Die Forderung nach Aufgabe oder Änderung der Eurozone durch Deutschland ist nationalistisch.

Der ehemalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher schaltete sich im August 2012 in die deutsche Euro-Diskussion ein:

„Der Europagedanke ist im Gerede. Die Folge könnte der Absturz unseres Kontinents in die globale Bedeutungslosigkeit sein. Nicht alles Reden ist Silber, vieles ist auch Blech – neonationalistisches dazu.“

Hier wird der Kerngedanke der bundesrepublikanischen Eliten formuliert, der besagt, dass die Bundesrepublik nach den Ereignissen des 20. Jahrhunderts jedwede Förderung der europäischen Integration unternehmen muss. Da die Euro-Währung ein weiterer Vertiefungsschritt zur Integration ist, ist in deren Augen jede Rücknahme dieses Schrittes purer Nationalismus. Hier stoßen wir auf die Euro-Ideologie in Reinkultur, wo auch Sachargumente z. B. über Staaten mit ungleicher Wettbewerbsfähigkeit, die nicht in einem Währungsraum mit gleichen Leitzinsen gehören, nichts mehr bewirken. Der Große Euro-Ökonom Genscher weiß es halt besser, aber leider hat er nicht Recht.

 

•          Drohung mit der Globalisierung I: Europa verliert ohne den Euro in einer globalisierten Welt an Bedeutung.

Hier können wir uns auf oben genanntes Zitat von Genscher beziehen. Ohne Euro versinkt Europa im globalen Maßstab in der Bedeutungslosigkeit, meint er. Leider passiert dieser Machtverlust Europas schon seit 100 Jahren und er wird auch weiter gehen. Der Euro wird daran nichts ändern können. Der Aufstieg der asiatischen Mächte wie Indien, China, Indonesien, Korea findet ganz ohne einheitliche Währung statt. Das Argument Genschers ist m. E. also falsch. Wenn Europa überhaupt noch seinen kontinuierlichen Machtverlust aufhalten wollte, dann nur über eine gemeinsame Außen- und Militärpolitik, die eine eigene europäische Armee und eine handlungsfähige Präsenz in der UNO umfasst. Aber genau eine solche Politik ist in immer weitere Ferne gerückt, sie wird zerquatscht und durch eine Diskussion über die in der EU erlaubten Krümmungsgrade von Gurken ersetzt.

 

•          Die Populismus-Keule: Schon die Kritik am bestehenden Euro und die Forderung nach Wiedereinführung der D-Mark ist Populismus.

Dem GEOLITICO-Autor Oeconomicus ist es zu verdanken, dass einige der wundersamsten Sätze deutscher Journalisten und Politiker aus der Talkrunde vom 6.5.2013 bei Frank Plasberg zur Eurokrise auch in Schriftform vorliegen. Unter anderem hat Michel Friedmann als Mitglied der CDU hier sein Verständnis darüber, was Populismus ist, zum Besten geben dürfen:

Ich „verstehe die Ängste der Menschen (…). Ich verstehe auch die Widersprüche (…). Jedem, der diese Ängste mit einer solchen irrationalen Idee wie „zurück zur D-Mark“, zurück zu Nationalstaats-Lösungen bedient, tut aus meiner Sicht populistische Gefahren hervorrufen, die wir Gott sei Dank in Deutschland bisher nicht hatten!”

Wann ist denn eine politische Forderung populistisch? Wenn Herr Friedmann die Forderung nicht mag? Wenn Frau Merkel oder Herr Gabriel sie nicht mögen? Welches Kriterium legt man an, um eine politische Forderung als „populistisch“ abzuqualifizieren? Verlassen wir uns auf den Duden, dann ist „Populismus“ eine „von Opportunismus geprägte, volksnahe, oft demagogische Politik, die das Ziel hat, durch Dramatisierung der politischen Lage die Gunst der Massen (im Hinblick auf Wahlen) zu gewinnen“.

Zurzeit muss man wohl die Lage mancher Länder in der Eurozone recht dramatisch sehen, man kann den Euro-Skeptikern nicht den Vorwurf machen, irgendetwas besonders aufzubauschen. Ebenso wenig kann man ihnen vorwerfen, sie wären opportunistisch, denn die Parteigründer der AfD z. B. sagen seit Jahren nichts anderes, als dass die Rettungsschirmpolitik in dieser falsch konstruierten Eurozone so nicht weiter gehen kann.

 

Aber wie ist es mit dem Kriterium der Massenmobilisierung? Im April dieses Jahres verkündete „Spiegel Online“ erleichtert, dass laut einer Umfrage nur noch 27 Prozent der Deutschen die D-Mark zurückhaben wollen. Nach der Definition des Duden setzen sich damit die sogenannten DM-Nostalgiker nicht dem Vorwurf des Populismus aus, die Masse der Deutschen (69 Prozent) will ja offensichtlich den Euro behalten.

Es ist schon seltsam, da würde eine Partei wie die AfD im Augenblick gerade einmal drei Prozent der Wählerstimmen in der Bundestagswahl einfahren, aber ein Journalist und CDU-Mitglied beschuldigt sie des Populismus. Ganz zu schweigen, dass Friedmann den Euro-Skeptikern natürlich noch den Nationalismus-Vorwurf machen muss, weil eine eigene Währung ja eine „Nationalstaats-Lösung“ wäre. Sind Staaten wie Dänemark, Schweden, Polen, Großbritannien oder Tschechien, die alle noch eine eigene Währung haben, nationalistische Staaten, oder sind die Regierenden da einfach nur klüger?

 

•          Die Kriegs-Keule: Da der Euro ein weiterer Integrationsschritt innerhalb der EU ist, wird mit der Aufgabe der Währungsunion auch die EU auseinander fallen und damit ist unmittelbar der Friede gefährdet.

Der Euro sei ein Friedenprojekt, meinte auch Friedmann in der Plasberg-Talkrunde. Aber nehmen wir hier ein Original-Zitat von Frank-Walter Steinmeier aus dem letzten Jahr:

„Sicher ist es schwer in diesen Zeiten für Europa zu werben. Aber uns allen muss klar sein, dass Europa nicht nur unsere Geschichte ist, die uns über 60 Jahre Frieden und Wohlstand gebracht hat.“

Das Zitat ist vom Juli 2012, der Bundestag hatte gerade mit Hilfe von SPD und Grünen den 700 Milliarden schweren ESM beschlossen. So wie Steinmeier argumentiert, müssten ohne Rettungsschirmpolitik und mit Aufgabe der Währungsunion in Europa sofort die Panzer rollen. Wie sonst darf man denn seine Aussage verstehen? Steinmeier offenbart große Erinnerungslücken: Vor Einführung des Euro hat es in Westeuropa 53 Jahre lang Frieden gegeben. Weiß er das nicht mehr?

Eine solche Argumentation, die über die stillschweigende Gleichsetzung von EWG/EU-Europa mit der nur teilweise in den EU-Staaten eingeführten EURO-Währung funktioniert, ist skurril, doch lassen es immer noch die meisten Menschen in Deutschland den Politikern durchgehen, wenn sie solches behaupten. Mit dem Wegfall des Euro wären alle anderen Institutionen (EWG, NATO, EU, Binnenmarkt, Schengen-Abkommen), die nach 1945 aufgebaut wurden und Europa zu einem wirtschaftlich erfolgreichen und friedlichen Kontinent gemacht haben, nicht plötzlich inexistent. Eine Währung ist kein Integrationsmittel, ein Binnenmarkt schon.

Was kommt als Nächstes? Wird man in Talkshows und Fernsehrunden bald behaupten, dass 1997 noch Krieg in Westeuropa geherrscht und erst der Euro den Frieden gebracht hätte?

 

•          Drohung mit der Globalisierung II: Deutschland kann im globale Wettbewerb ohne Europa und Euro gar nicht bestehen. Auch hier zitieren wir Steinmeier aus dem oben genannten Verweis:

„Allein werden wir im globalen Wettbewerb nicht bestehen. Arbeit und Wohlstand werden in Deutschland auf Dauer nur gesichert bleiben, wenn wir es schaffen Europa zu stabilisieren.“

Zurzeit wird die Eurozonen-EU eher von ihrer Währung destabilisiert und nicht gefestigt. Fakt ist, dass Länder wie z. B. Griechenland oder Portugal in der Eurozone nicht wettbewerbsfähiger wurden, sondern global wie eurozonal immer weniger Marktanteile hatten, weil der Euro ihre Produkte im globalen Maßstab viel zu teuer machte. So wie es aussieht, können Staaten wie die Niederlande, Österreich oder Deutschland im globalen Wettbewerb durchaus mithalten (und finanzieren damit quasi gerade die Eurozone), auf keinen Fall aber die Euro-Südperipherie. In Deutschland ist der Anteil der Exporte in die Eurozone stetig kleiner geworden. Die Vorteile eines europäischen Binnenmarktes bestanden schon vor der Einführung des Euro, deshalb ist es immer wieder irritierend, wie Politiker wie Steinmeier diese Fakten durcheinander werfen.

Wie man sich die Lösung des Wettbewerbsproblems in Berlin vorstellt, ohne den Großen EURO-Finanzausgleich mit Massenabflüssen von Transfergeldern in die Peripheriestaaten einzuführen, ist eher unklar, zumal die Staaten der Südperipherie einschließlich Frankreichs immer offener und schärfer auf irgendwelche Spar- und Reformvorgaben reagieren. Es bleibt festzuhalten, dass in einer Währungsunion in der bisherigen Form mit einer Dauer-Finanzierung des Südens durch den Norden wohl kaum eine gesamteuropäische Steigerung der globalen Wettbewerbsfähigkeit möglich ist.

 

•          Der Krisen-Hammer des Wirtschaftszusammenbruchs: Ohne Euro droht die (Welt-)Wirtschaftskrise und damit drohen Armut, Arbeitslosigkeit und Wohlstandverlust.

Hier zitieren wir die „Wirtschaftsexpertin“ Katrin Göring-Eckardt, ihres Zeichens Theologin ohne Abschluss, in besagter Plasberg-Talkrunde:

 „Stellen Sie sich mal allgemein vor, wir hätten den Euro nicht mehr, die Deutschen würden wieder die D-Mark haben; wir hätten wahrscheinlich als erstes eine Weltwirtschaftskrise und würden uns nicht gemütlich zurücklehnen können, nach dem Motto ‚wir machen es jetzt wieder alleine‘. Das ist ökonomisch völlig absurd!“

Über ökonomische Absurditäten kann man viel diskutieren. Man könnte auch darüber sprechen, warum Länder wie Griechenland und Zypern überhaupt in die Lage gekommen sind, in der sie sich jetzt befinden. Aber in dieser Tiefe will Frau Göring-Eckardt die Diskussion gar nicht führen. Ihr ist es wichtig, dass bei den deutschen Fernsehzuschauern die Information hängen bleibt, es komme zu einer Weltwirtschaftskrise, wenn wir den Euro aufgäben. Wie war das noch mit dem Populismus und der Dramatisierung der Lage? Die Drohung mit Wirtschaftskrise und Wohlstandsverlust durch Aufgabe des Euros steht m. E. der Nationalismus-Keule in nichts nach. Es ist das Geschäft der Angstmache, was die Grünen-Politikerin hier betreibt.

 

•          Abdriften ins Irreale: Europa ist der Euro, der Euro ist Europa.

Auch hier zitieren wir dankbar aus dem GEOLITICO-Beitrag von Oeconomicus, der diese Perle aus dem Munde des FDP-Politikers Christian Lindner im Verlauf der Diskussion vom 6.5.13 zu Recht noch einmal festgehalten hat:

„Es kann doch gar kein Zweifel daran bestehen, dass wir ENORM, auch wirtschaftlich von der gemeinsamen Währung profitiert haben. Ich kenne auch niemanden sowohl in der Wirtschaft als auch im Privatleben, der sich die Zeit zurückwünscht, des permanenten Währungswechsels beim Grenzübertritt, wer die schwankenden Währungen zurück haben möchte .. niemand will wieder Zoll zahlen, wenn er ein Paket aus Frankreich bekommt oder Schlagbäume passieren auf dem Weg nach Lissabon. Das alles steht hier auf dem Spiel, Herr Lucke. Ich weiß nicht, ob Ihnen das klar ist, politisch klar ist, dass man nicht mal eben so südeuropäischen Ländern das Ausscheiden aus dem Euro empfehlen kann.“

Es kommt zur Überhöhung des Euro, der in dieser Anschauung zum zentralem Instrument für den europäischen Einigungsprozess und alleinigem Garanten für die Integration wird. Sollte Christian Lindner in den Jahren 1996 oder 1997, also unmittelbar vor Einführung des Euro, in Mitteleuropa gelebt haben, müsste ihm eigentlich aufgefallen sein, dass es einen funktionierenden Binnenmarkt gab, in dem die Zollschranken im Rahmen der Europäischen Zollunion seit 1968 abgeschafft waren. Im Schengener Abkommen von 1985 (tatsächliche Durchführung ab 1995) wurde außerdem zwischen den teilnehmenden Staaten auf Grenzkontrollen, z. B. Vorzeigen des Ausweises, an den Binnengrenzen verzichtet.

In seinem Eifer, die Zuschauer von der Notwendigkeit des Euro zu überzeugen, unterstellt Lindner, dass Europa ohne Euro sofort wieder in das Zeitalter der konkurrierenden europäischen Nationalstaaten zurückfällt, die grenz- und zollabgeschottet vor sich hin wursteln. Hier kommen wir in die Bereiche der Psychopathologie des Alltagslebens. Lindner übersieht einfach die bis 1998 erreichte Integration in Teilen Europas bzw. sieht sie als bloßen Nebeneffekt der Euro-Einführung. Es gab in der EU aber auch schon ein Leben vor dem Euro. Wer klärt Herrn Lindner auf?

Die hier dargebotenen „Argumente“ pro Euro von mehr oder auch weniger wichtigen Vertretern des deutschen Polit-Establishments sind unterirdisch in ihrer Inhaltslosigkeit. In der Art, wie sie in verschiedenen Situationen von immer anderen Personen, aber mit immer ähnlichen Formulierungen geäußert werden, spiegeln sie die uniforme Parteienlandschaft im Bundestag wider. Es handelt sich um eine Art unabgesprochene Verschleierungstaktik eines Teils der proeuropäischen deutschen Meinungsformer und Politikvertreter, die verhindern soll, das Scheitern der Währungsunion in der augenblicklichen Gestalt zuzugeben.