München scheint ein Pflaster für sympathische Schwerenöter zu sein, nicht nur im Film. Die “nördlichste Stadt Italiens” ist ideales Jagdrevier für einen Casanova, der zwar schon in die Jahre gekommen ist, aber mit seinem Aussehen und Verführer-Charme bei der Damenwelt immer noch einen Stich macht. Diese Rolle ist meinem alten Freund und Studienkollegen auf den Leib geschrieben, der mich vor kurzem nach langer Zeit anrief und zum Essen einlud. Nennen wir Ihn Monaco. Ich habe ihn zwanzig Jahre nicht gesehen und wir trafen uns in einem Schwabinger Lokal, ziemlich laut, ziemlich steril eingerichtet. Warum rief er an? Vermutlich weil eine Langzeitbeziehung kürzlich zu Bruch ging. Oder weil er auch langsam nachdenklich wird. Zwanzig Jahre vergingen wie ein paar Wochen.

Wenn der Teufel alt wird, will er Mönch werden ("Quand le diable devient vieux, il se fait ermite").

Wenn der Teufel alt wird, will er Mönch werden (“Quand le diable devient vieux, il se fait ermite”).

Der Wolf ist grau geworden hat sich aber sonst kaum verändert.  Wir haben viel gemeinsam,  ähnliche Herkunft und Interessen aber sind dann vollkommen unterschiedliche Wege gegangen.Das Geschäft welches er sich aufbaute, hat er als Mittvierziger gut verkauft und lebt seit dem als Privatier. Geschieden ist er natürlich auch. Seine Frau hat dem sympathischen Schwerenöter irgendwann den treuherzigen Dackelblick nicht mehr abgekauft. Die viele Freizeit hat er auf Basis einer soliden bürgerlichen Existenz und mit viel Sport erfolgreich strukturiert. Der Monaco stammt aus einem Münchner Arbeiterviertel und hat eine lange, erfolgreich Karriere als Pilsbar-Casanova hinter sich, die er zum ersten Mal anzweifelt. Da sind unzählige Freundinnen die ihm den Laufpass gegeben haben weil er sie betrog oder die er verließ weil mit ihnen im Bett nichts mehr ging. Ich kannte einige der Langzeitfreundinnen, da waren tüchtige, nette, intelligente, und weniger intelligente dabei. Hübsch waren sie alle. Auch nach der Trennung war im keine ernsthaft böse. Nun denkt er aber ernsthaft nach alleine zu leben. Casanova ist zerknirscht. Seine in geschlechtlichen Dingen untrügliche Nase hat ihn offenbar im Stich gelassen. Doch letzten Endes erweist sich er doch als erfolgreicher Realist und tüchtiger Finanzverwalter – ein Suspensorium führte den Frauenverbraucher nur kurz in die Irre.

Haben wird ironischerweise im Alter immer wichtiger. Monaco hat genug Geld bis zum Lebensende, ein Haus, zwei praktische Autos und zwei Motorräder. Keine Kinder. Frauen sind wohl eher kurzlebige Gebrauchsgüter. Trotzdem schien er auch in diesem Bereich besorgt: Stromkosten, Euro, Gesundheitskosten. Wenn ich ehrlich bin geht es mir genauso. Er redet überhaupt viel, viel zuviel über Geld, will alles genau wissen. “Alt werden ist nichts für Feiglinge”, sprach Mae West, die Verwegene aus Hollywood. Und ziemlich jeder Mann hat sich, einmal in die Jahre gekommen, mit dem Alten Ego herumzuschlagen.

Die Frauen. Zwei Satiriker, Swift aus Dublin und Nestroy aus Wien, kamen zum selben Schluss: Jeder möchte lange leben, aber keiner will alt werden. Einem Lustmenschen wie Casanova blieb im Alter nur die schwarze Kapuze “Melancholie”. Gramvoll musste er bereits mit 46 Jahren registrieren, “dass sich das schöne Geschlecht nicht mehr einfach bei meinem Anblick für mich interessiert”. Berufsprobleme traten hinzu: Seine “Manneskraft” hatte “schon seit acht Jahren allmählich abgenommen”. Das ist auch für Monaco aber psychologisch nicht physiologisch, es klappt wie er sagt im Bett halt nur mit immer neuen Frauen.

monaco-der-ewige-stenz

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Ich bin verheiratet. Beide sind wir der Meinung und haben die Erfahrung man kann allein leben ohne einsam zu sein. Früher haben wir jeden Samstag im Cafe Schach gespielt und sind dann gemeinsam ins Nachtleben losgezogen.  War im Zweierteam effizienter, da die Mädels auch meist so unterwegs waren.

Kinder. Ich habe zwei Kinder. Ich fremdle immer ein wenig mit den überzeugten Kinderlosen die sich ungestört von Babygeschrei dem Geld verdienen widmen und Deutschland zu einem grossen Altersheim machen. Bin ich aber wirklich dieser selbstlose Typ? Meine Kinder machen auch mein eigenes Leben schöner. Das Kinder kriegen ist verdammt privat. Das Familien,  meist weniger Eigentum anhäufen können als Kinderlose ist klar, man muss sich  Realitäten stellen und eigene Prioritäten setzen.  Ich fröstle jedoch mittelfristig – ein zeugungsunfähiges Volk von Dichtern und Denkern stirbt aus.

Freunde. Er hat Kontakt zu damals gemeinsamen Freunden gehalten. Alle Männer sind geschieden, die meisten nicht wiederverheiratet und nicht wenige finanziell ruiniert. Kaum welche haben Kinder.  In seinen Erzählungen klingt hier eine gewisse Schadenfreude mit, dass er es geschafft hat oder zumindest Mitleid.

Ungleiche Freunde

Ungleiche Freunde

Hat er auch. Er steht von allen Studienkollegen finanziell am besten da. Mit meinen notorischen Länderwechseln und wohl auch von Disposition bin ich leider notorisch „easy come easy go“ mit Freunden. Anrufen fällt mir schwer.

Körperliche Gesundheit. Euripides: “Fluch dem Alter! Es bringt nur Leid, Schmerz und Tod!”. Mit steigendem Alter sinkt leider die Kondition. Das ist unerfreulich, aber mit Sport lässt sich wirksam gegensteuern. Doch wo liegen die Leistungsgrenzen in höherem Alter? Wir haben alle Sportarten durch dekliniert die wir noch betreiben: Wandern, Radfahren, Fitnesstraining, Nordic Walking, Schwimmen, Tauchen, Ski und Skilanglauf. Nicht nur ist er in vier Sportarten mehr aktiv (Tanzen, Klettern, Gleitschirm, Touren Ski), er hat auch sein Tagesablauf erfolgreich um Sport strukturiert. Aber gibt es Grenzen? Gelenke. Jogging haben beide wir abgelegt.

Geistige Beweglichkeit. “Alt werden heißt”, sprach Goethe, “ein neues Geschäft zu beginnen.” Oder einen alten Traum. Mit 74 spitzte Lukas Cranach der Ältere den Pinsel und malte ein Wunschbild: einen “Jungbrunnen”, in dem Runzelweiblein zu Schönheiten verwandelt werden. Cicero hingegen hob an zu einem Lob des Alters. Es könne “größte Freude” bedeuten, nämlich dann, wenn der “wissenschaftliche und künstlerische Eifer” so lange währe wie das Leben selbst. Kulturelle Zeugnisse aus Philosophie, Literatur und Kunst können die “Chancen des Alters” demonstrieren. Monaco ist nie aus München herausgekommen.  Wollte es nicht. Aber er ist erfolgreich und geistig agil. Ich möchte gerne etwas ganz neues anfangen.

Spirituelle Neugier. Wenn der Teufel alt wird, will er Mönch werden (“Quand le diable devient vieux, il se fait ermite”). Das trifft sicher auf mich ein wenig zu, nehme ich doch Kirche und Jung neu wahr. Wir haben über Kloster und Individuation diskutiert, das schienen neue Gedanken.Wir haben beide Erfahrungen mit Sterbenden Eltern und Trauer. Im Beten mit Angehörigen, mit Sterbenden und für Sterbende müssen wir sorgsam beten. Das war für mich jedenfalls gar nicht so leicht.

Humor hilft. Auch die Krimi-Queen Agatha Christie fand für ihren Fall eine frappante Lösung. “Je älter ich werde”, verkündete sie, “desto interessanter werde ich für meinen Mann.” Ihr Mann war Archäologe. Seinen Humor hat Monaco behalten.

Ich habe vor 20 Jahrenviel von Monaco gelernt obwohl wir sehr unterschiedlich sind und auch damals schon waren. Auch jetzt schien mir der Anruf ein Fingerzeig.  Mit seiner praktischen Intelligenz und 10 Jahren Erfahrung als Privatier ( und beruflich Selbständiger) sein Leben eigenständig zu strukturieren ist er der prädestinierte (indirekte) Coach für meine Transition in diesem Jahr 2013.  Nebenbei, wie er richtig bemerkte arbeitet die Zeit gegen uns. Schauen wir mal. Zum Schach haben wir uns wieder lose am Samstag nach dem Winter im Unicafe verabredet. Angelehnt nach dem brave Soldat Schwejk: “Nach dem Krieg um halb sechs im Kelch!” “