Besser kann große Kunst zuhause nicht erfahren werden., Amazon Review 23. Juli 2012
Die Neuauflage der Produktion bietet Breitwandformat und Surroundklang, so dass die Aura Bayreuths zumindest technisch ins Wohnzimmer übertragbar ist. Wagnerliebhaber – und solche wie ich die es werden wollen – sollten hier nicht vorbeigehen. Günstiger kann große Kunst nicht erfahren werden. Sowohl Kamera als auch Ton sind von hoher technische Qualität und das Orchester und die Stimmen in optimaler Balance. Die Darsteller des Bayreuther Rings haben wie zu erwarten Weltklasse, allen voran Siegfried Jerusalem als Siegfried, dramatisch Anne Evans als Brünnhilde und der starke Bass Philip Kangs als Hagen überzeugen. Die Nahaufnahmen, welche die Kameraperspektive ermöglicht, zeigen die Gestik alle Protagonisten allerdings teilweise in sehr gewöhnungsbedürftigen Kostümen. Die musikalische Leitung Barenboims wurde seinerzeit groß bejubelt und gefeiert – meines Erachtens nicht zu Unrecht. Barenboim hat Kupfer allerdings bis an die Grenze des vom Gesang her Möglichen nachgegeben – es wird gerannt, gelegen, geklettert, gerutscht, gekniet. In sogenannten Kupferschützern.
Parallel zur Oper lese ich ein Buch des Kunsthistorikers Richard Wagner’s Robert Donington ‘Ring des Nibelungen’ und seine Symbole: Musik und Mythos. Er zitiert in der Einführung Richard Wagners Bemerkung sinngemäss: “Ein allzu offenes Aufdecken der Absicht stört das richtige Verständnis durchaus: es gilt im Drama – wie im Kunstwerk überhaupt – nicht durch Darlegung der Absichten, sondern durch Darstellung des Unwirklichen zu wirken”. Anders gesagt, Kunst muss nicht durch die Erklärung sondern durch sich selbst überzeugen. Ich kein Freund der unbedingten Werktreue, aber mit der Bühnenbildgestaltung durch Hans Schavernoch und der Inszenierung Harry Kupfers kann ich mich nicht anfreunden. Wenn ich mich auf den Begriff Regietheater mal einlasse, sollte es besser Musiktheater heißen, mit guten Regisseuren und klugen Dramaturgen. Die Regie sollte nicht vorne stehen.
Bei Wagner frage ich Simpel mich zudem einfach, transportieren die Inszenierung die Bilder der Symbole und Mythen in der ganzen Vielschichtigkeit? Außer bei der genialen Laser Unterwasserszene in Rheingold (die den Ton störte), geschieht das hier meistens leider nicht. Die Götterdämmerung ist ganz schlimm. Statt des Rheins sehe ich so eine Art Röhren. Sagt jedenfalls mir nichts.
Ein durchgängiges Moment des Regietheaters im negativen Sinne ist ja der pädagogische Zeigefinger: man will aufklären, erklären, den wahren “Gehalt” des Kunstwerkes zeigen, den Komponisten und Textdichter besser verstehen als der Bildungsbürger (der ja dafür zahlt), die Wichtigkeit des Werkes für heute zeigen. Letzteres ist ja auch in Ordnung. Nur wenn man das auf der Bühne nicht so recht deutlich machen kann, schreibt man halt leider wie Kupfer was Neues. Die Entstehungszeit der Inszenierung, die bleierne Zeit, Kalter Krieg und die Sendung mit der Maus, ist spürbar. Besonders deutlich wird dies am Ende: Eine Gruppe sensationslüsterner Zuschauer beobachtet im Fernsehen, wie die Welt der Gibichungen in Flammen aufgeht (Visualisierungstechnik am unteren Ende). Zwei Kinder suchen den Weg aus der Katastrophe und ziehen von der Bühne. Kunst ist hier Frontalunterricht, aber wir sind nicht blöd. Man möchte meinen, dieser 68er Kitsch wäre sogar einem dem Kitsch nicht abholden Richard Wagner zuviel gewesen. Nach dem Magazin der Spiegel zu urteilen, rannten auch Anti-Wagnerianern die Tränen herunter – im Programmheft findet man dazu” “Am Ende, mit dem letzten Orchesterton, wird dann ein von Tränen der Rührung benässter Jubel losbrechen, da man sich wieder eins fühlt mit der Kindheit, der eignen und jener der Menschheit”.
Die Konzeption des Gesamtkunstwerks der Ring entstand zur Zeit zwischen 1850-1890. Diese Epoche ist durch die Erstarrung des Bürgertums nach dem Scheitern der Märzrevolution (1848). Dies Erstarrung der Bürgertums – oder was heute noch davon übrig ist – und die Kapitalismuskritik Wagners ist heute aktueller den je. Andreas Kriegenburg im derzeitigen Ring im Nationaltheater München transportiert Wagners Metaphern meines Erachtens besser. Trotzdem, unbedingt hörenswert, sehenswert – na ja, wenn es minimalistisch wird, vielleicht.