Dieser Satz in einer renommierten Tageszeitung zum Bösen in Norwegen hat mir zu denken gegeben. Habe ich öfters mal Gut und Böse abstrakt als religiöses oder soziologisches Konstrukt behandelt, ging es hier um einen spezifischen Menschen.
Über das Böse im Christentum lässt sich natürlich trefflich streiten. Der Reichstag von Norwegen, ein lutherisch geprägtes Land, wurde befragt , ob es ‘den Bösen’, also den Satan gibt. Und wie das dann ein Parlament macht, es hat einen Untersuchungsausschuss eingesetzt mit konservativen und liberaleren Theologen. Und da kam dann am Ende heraus, dass sie sich nicht einigen konnten. Im Fall Norwegen ist auf einmal alles klar: ” von allem ein bißchen, sowohl Nazi als auch Islamhasser, und vor allem geisteskrank und böse, ein Teufel ohne Gewissen, ein Massenmörder, der mit seiner kaltblütigen Tat mal wieder gezeigt hat, zu was der Mensch alles fähig ist”.
Den Einzelfall lasse ich weg, aber genau deswegen wundere ich mich daher seit langem nicht mehr, dass es in so vielen anti-reliösen Staaten Mode war und ist, unbequeme Leute in die Psychiatrie abzuschieben: medizinische Diagnosen scheinen je nach herschender Meinung flexibeler zu sein, um das zu rechtfertigen. Man fragt einfach so lange, bis jemand die gewünschte Antwort gibt. In dieser Tageszeitung wurde – etwas ungewohnt, traut sich die Religion das oft schon lange nicht mehr – von säkularer Seite ebenfalls der Teufel bemüht. Üblicherweise liegen nach herschender Aufassung der Neurologen und Psychologen besonders bei planmäßig vorgehenden Verbrechern Defizite im zerebralen Netzwerk vor, welche für das Vermögen zu Empathie, Mitempfinden und Schuldgefühl zuständig sind. Entweder wären es angeborene Defekte oder ein toxisches Einwirken von Stresshormonen anlässlich früherer psychischer Traumatisierungen (z. B. Broken-Home-Verhältnisse, Vernachlässigung, Missbrauch, häusliche Gewalt oder Misshandlung), die für diese neurochemischen und/oder neurophysiologischen Anomalien verantwortlich sind (Damasio A, 2006; Förstl H et al. 2005; Herpertz SC, 2002; Lück M et al, 2005). Im Artikel der Tageszeitung wurde hingegegen – auch ungewohnt, ist der Verbrecher sonst immer von externen Einflüssen Kindheít und Armut etc. angetrieben – der freie Wille des Menschen zum Bösen akzeptiert.
Schön zu sehen, dass die ach so rationale Gesellschaft und mechanistische neurologische Auffassung gegebenfalls auch zur traditionellen (katholischen) Theologie zurückfinden kann:
Ein Mönch des (katolischen) Dominikaner-Ordens:“Dass es ‘das Böse’ gibt, ist ja für jeden Menschen, der einigermaßen wach das Tagesgeschehen verfolgt oder auch die Weltgeschichte, doch keine Frage. Also, gerade, wenn man an die deutsche Geschichte des vergangenen Jahrhunderts denkt, da liegt das ja geradezu auf der Hand.” “Das Böse ist auf jeden Fall keine Gegenmacht zu Gott!” Gott hat dem Menschen einen freien Willen geschenkt, damit er zwischen gut und böse wählen kann. Diese Idee ist in der Neuzeit populär geworden durch Erasmus von Rotterdam. Dessen Zeitgenosse Martin Luther war übrigens anderer Meinung: der Mensch hat in Bezug auf Gut und Böse eben keinen freien Willen! Im Christentum hat die Erkenntnis der eigenen Verfehlungen einen wichtigen Platz. Für katholische Christen besteht sogar die Pflicht, ihre Sünden regelmäßig einem Priester zu beichten und Buße zu tun.
Der evangelische Theologe: Wenn ich das richtig sehe, dann ist es so, dass die biblischen Texte über die Herkunft des Bösen eigentlich sehr zurückhaltend sind. Es wird nirgends darüber spekuliert, woher der eigentlich kommt.” In Martin Luthers Übersetzung der Evangelien hat Satan einen zweiten Namen: “der Teufel”. Das Wort ist griechischen Ursprungs: “Diabolos” -Diabolos ist ein Dämon, der den menschlichen Geist verwirrt: ihm die Wahrheit verdreht und verschleiert. Der Teufel ist ein Lügner und ein Vater der Lüge (Ein Christus-Wort aus dem Johannes-Evangelium).
Der Rabbiner: Gibt es den “leib-haftigen” Satan? Den Teufel persönlich?
Für den Rabbiner, ist “Satan” keine Person, sondern eine Metapher: ein Sprachbild für das Böse, das in verschiedenen Formen erscheint. “Ich glaube, dass das Böse von Gott gemacht ist, damit wir unseren freien Willen tatsächlich leben können. Und der freie Wille ist es, den Gott uns als größtes Geschenk gegeben hat, damit wir uns frei und souverän für ihn entscheiden können. Denn sonst würde er uns nicht lieben. Dann wären wir Marionetten!”
Die Bibel:
Ein Vers aus dem AT Buch “Hiob”. Er legt nahe: Satan ist ein Gottessohn und steht zwar unter göttlicher Befehlsgewalt aber er lässt ihn nicht nur zu, sondern Satan ist Teil der Gemeinschaft. Es begab sich aber des Tages, da die Kinder Gottes kamen und traten vor den Herrn, dass Satan auch unter ihnen kam und vor den Herrn trat. Siehe dazu:Hiob und C.G. Jung.
Das scheint die Ursünde und der Ansatzpunkt des Bösen, dass der Mensch offensichtlich nicht in der Lage ist, sich selbst zu begrenzen.
Darum hat der Johannesbrief wahrscheinlich Recht, der sagt, dass Jesus gekommen ist, um die Werke des Teufels zu zerstören. Indem er das Manifest der Liebe aus der Bergpredigt dem brutalen Egoismus und dem brutalen an sich (eben auch dem brutalen Verbrecher) entgegenhält.
Die katholische Praxis: Der Exorzismus ist noch heute Bestandteil katholischer Lehre. Dabei wird unterschieden: So beinhaltet der Taufritus einen so genannten kleinen Exorzismus, da er den Täufling von der Erbsünde und deren Anstifter, dem Teufel befreit, von dem sich der Täufling – oder dessen Paten für ihn – lossagt.
Der Vollzug des so genannten Großen Exorzismus ist einem Priester vorbehalten und bedarf der besonderen Genehmigung des jeweiligen Bischofs. Der Ritus ist im Rituale Romanum von 1999 geregelt. Ausdrücklich unterscheidet die Kirche die so genannte Besessenheit von Geisteskrankheiten.
Im Gespräch mit Philosophen und Filmemachern, Gerichtspsychologen und Romanautoren, Neurowissenschaftlern und Theologen beschäftigte sich das Radiofeuilleton von Deutschlandradio Kultur eine Woche lang mit diesem Thema (zumeist recht flach):
“Das Böse beginnt dann, wenn der Mensch sich nicht in andere hineinfühlt”
“Psychopath sein heißt nicht, dass man Verbrecher wird”
Das “Individualisierungsversprechen” des Bösen
“Ich bin auf keinen Fall softer geworden”
Der Teufel – ein kulturhistorisches Porträt
“Man hat plötzlich Macht, und da kommen dann mediale Vorbilder”
The Dark Knight – Die Faszination des Horrorfilms
Ein Bösewicht mit Sex Appeal – Psychogram des Vampirs
Das Böse im Spiegel der Weltreligionen (Teil 1): Christentum und Judentum
Man kann niemand zwingen, “sich unter den Hirnscanner zu legen”
Die böse Stiefmutter – ein kulturhistorisches Porträt.