Das Evangelium nach Markus ist das zweite Buch des Neuen Testaments in der christlichen Bibel, das kürzeste der vier kanonischen Evangelien und nach bibelwissenschaftlicher Mehrheitsmeinung auch das älteste unter ihnen. An zahlreichen Stellen dort ist von „Dämonen“ die Rede, die Menschen beherrschen, besetzen, in den Bann ziehen, krankmachen oder in den Wahnsinn treiben (vgl. z.B. Mk 1, 1-20, 5, 1-20, 7, 24-30; 9, 14-29).
Zur Zeit der Abfassung der Evangelien gab es im ganzen Mittelmeerraum den Glauben, daß es “Dämonen” gibt, also immaterielle Wesen, die (unter anderem) vom Menschen Besitz ergreifen können und ihn entweder körperlich schädigen durch Krankheit, Gebrechen, oder psychisch (“Depressionen” – übrigens ein ursprünglich dämonologischer Audruck – verschiedene Formen des “Wahnsinns” …) usw. oder ihn moralisch destruieren. Es gab unendliche Varianten von Dämonenglauben natürlich immer schon und außerdem in allen Kulturen der Welt. Auch die Kunst, mit ihnen umzugehen, war weltweit in den Grundzügen dieselbe. Der heute verbreitete Ausdruck “Dämon” kommt aus dem Griechischen.
Im Palästina dieser Zeit waren die Dämonenvorstellungen bereits aus verschiedenen Kulturen des vorderasiatischen Raumes zusammengesetzt: sumerische, babylonische, assyrische, persische und griechische. Außerdem waren die jüdischen ja selbst Varianten der früheren israelitischen, und die wiederum waren Erben früherer anderer semitischer Vorgaben, vor allem aber der babylonischen.
Ganz ohne Zweifel ist der Jesus bei Markus als jemand dargestellt, der die Existenz von Dämonen voraussetzt. Und: Er beherrschte die Kunst, Menschen von Dämonen zu befreien. Die Dämonen der Synoptiker sind (im Unterschied zum Johannes-Ev.) alle solchen Typs, wie man sie aus babylonischen und sumerischen Traditionen kennt, und wie sie im Babylonischen Talmut überliefert sind – im Alten Testament ebenfalls, aber nicht so zahlreich erwähnt und beschrieben. Die Kunst, mit ihnen umzugehen – d.h. sie zu beherrschen, ihnen befehlen zu können – war in Babylon dem Priester zugeordnet. Bei den nachexilischen Juden aber lag die einzige Hilfe und Abwehr gegen dämonischen Einfluß (sei es gesundheitlisch oder moralisch) in der Treue gegenüber dem Gott. Schon damals gab es die Schlußfolgerung, daß jemand, der Krankheiten oder Gebrechen hatte (auch solche von Geburt an), sich auf irgendeine Weise gegen den Gott vergangen haben müsse. Denn Krankheit und Leid jeder Art war immer dämonischer Einfluß und die Grenze zwischen Arzt und Priester gab es noch nicht.
Wenn nun allein Gott selbst diejenigen zu beherrschen imstande war, die ihn haßten (eben die Dämonen), dann konnte ein Mensch, der den Dämonen derartig einfach und effizient zu befehlen verstand (“schweig!”, “fahre aus!”) nur entweder Gott selbst sein, oder sein Sohn, oder mindestens einer mit einer vom Gott selbst gegebenen Vollmacht. Alles Attribute, die zu irgendeiner der sehr unterschiedlichen Messiaserwartungen paßten. Und eben weil in dieser Zeit das alles in der Dämonenkonzeption vorausgesetzt war, wußten die Dämonen auch selbst (wie Markus es darstellt): Wenn jemand über sie Macht hat, dann kann es nur der “Sohn des höchsten Gottes” (5.7) oder der “Heilige Gottes” (1.24) sein. Und da diese Zwischenwesen alles Wissen haben, sind sie also die überzeugendsten “Beweise”, wer dieser Mensch ist, der die Macht hat, sie zu zerstören.
Die Dämonen der synoptischen Evangelien bringen körperliche und psychische Krankheit. Die im Joh.-Ev. verderben aber den Menschen moralisch (den Judas z.B.). Deshalb sieht die Rolle im Kampf mit ihnen (speziell mit dem “archon tou kosmou”, dem Herrscher dieser Welt, das war die damals kursierende Konzeption des “Satan”, der als der Anführer aller Dämonen galt – das ist nicht mehr der Satan, wie er z.B. im Hiob auftritt) etwas anders aus: Es ist bei Joh. ein kosmologisches Geschehen, nicht mehr eines an einzelnen Menschen.
Der Begriff „Dämon“ versucht ein seelisches Phänomen zu fassen, wobei im Christentum vor allem um den Umgang mit dem Bösen ginge, also um ein Verhalten angesichts Versuchung und Anfechtung. Während die Kirche dazu eine mythologische Sprache verwendt, um Erscheinungsformen, Technik und Wirkung der „Dämonen“ zu fassen, verwendet die empirische Psychologie vor allem Begriffe aus der tiefenpsychologischen Affekt- und Komplextheorie. Dabei bestehe die Gefahr einer psychologisierenden Phänomenbeschreibung darin, die Wirklichkeit des Bösen und Abgründigen mehr zu verschließen als zu eröffnen.
Für die mythologische Sprache ist Projektion die Täuschung durch den Dämon, der uns in seinen Bann zieht; fremde Projektionen wirkten wie böse Geister auf uns ein. Für die Psychologie (C.G. Jungs) ist die Projektion „eine unbewußte, d.h. nicht wahrgenommene und unabsichtlich geschehene Hinausverlegung eines subjektiven seelischen Tatbestandes in ein äußeres Objekt`“ (a.a.O., Zitat von M.L. Franz , S.13). Die Ursache für Projektionen seien für C.G. Jung Komplexe. Dämonenen erscheinen insbesondere als autonome Komplexe. Ein stark gefühlsbetonter Inhalt, der bei uns heftige Emotionen auslöse, den wir aber aus unserem Bewusstsein verdrängt haben, stehe am Anfang eines Komplexes. Ein Komplex versetze uns „ in einen Zustand der Unfreiheit, des Zwangsdenkens- und handelns.`“ (Zitat, a.a.O., S.14; aus C.G. Jung,GW, 8 Bd. Zürich , S.111) .
“Dämon” ist ursprünglich, wie oben beschrieben, kein psychologischer, sondern ein folkloristischer oder mythologischer Ausdruck, dem in der Jungschen Psychologie die autonomen Komplexe entsprechen. Komplexe sind als “Brennpunkte”, gewisse stark emotional geladene Vorstellungskonglomerate, die durch emotionale Reaktionen Antworten auf Reize stört. Komplexe sind relativ autonom sein und bilden dann abgesprengte, unbewußte Teilpsychen, welche das Ich beherrschen. Aus dieser Sicht hat C.G. Jung großes Verständnis für die kirchliche Lehre, welche die Dämonen als eigenständige Wesen betrachten. Wenn die Bibel von Besessenheit reden, so beschreiben sie die Wirkung des Komplexes und erkennen dabei an, dass der Besessene nicht eigentlich legitim krank ist, sondern unter einem unsichtbarem geistigen Einfluß leidet, dessen er auf keinerlei Weise Herr werden kann. Dieses unsichtbare Etwas ist der genannte autonome Komplex, ein unbewußter Inhalt, welcher dem Griff des bewussten Willens entzogen ist. (Anselm Grün, „Der Umgang mit dem Bösen“ 2011).
Der Böse spielte eine wichtige Rolle in der Phantasie der Menschen in der Zeit in der Christus lebte – und heute. Satan wird immer wieder von den Schriftgelehrten und dem Volk Israel in den synoptischen Evangelien erwähnt, von den Aposteln, vor allem von St. Paul, und sehr oft in der Offenbarung des Johannes. Jesus folgt dem allgemeinen Glauben der Zeit bei der Zuordnung psychischen Krankheiten auf den Besitz von Dämonen, und wir dürfen annehmen, dass er die populäre Ansicht teilten. Dennoch spricht er, alles in allem, weniger vom Teufel als von der Liebe.
“Das Böse” ist eben nicht nur Werturteil. Es hängt viel ab, wer und was du bist. Im konventionellem Christentum werden “Gut” und “Böse” nur unter dem Gesichtspunkt der eigenen Haltung gegenüber den christlichen Gott definiert. Auf der anderen Seite, neigt eine humanistisch geprägte Sichtweise der Moral dazu, “Gut” und “Böse” in Bezug auf konkrete Nutzen und Schaden, in erster Linie für den Menschen zu denken. Das katholische Denken tendiert zumindest in der Praxis, wenn nicht in der Theorie, von “Gut” und “Böse” in einem Gott-zentrierten Sinn – Gott ist der alleinige Schöpfer mit dem Bösen als sein natürlichen Widerpart und sichtbar nur durch den Gegensatz zum Reich Gottes. Das Reich des Bösens herrscht über Dämonen, böse Geister, durch Sünde und Lüge. C.G. Jung denkt anders, ganz im Sinne des Tao oder der Gnostiker: Das Böse will ebenso erwogen sein wie das Gute […] Es gibt schliesslich nichts Gutes, aus dem nichts Übles, und kein Übel, aus dem nichts Gutes hervorgehen könnte ( C.G. Jung Psychologie und Alchemie, Studienausgabe 1951). Er sagt aber auch: Der schöpferische Mystiker war schon immer das Kreuz der Kirche. Aber diesen Leuten verdankt die Menschheit das Beste” ( C.G. Jung Gesamtwerk Band 14).
Nach C.G. Jung gibt es Seelenkomplexe die vom aus dem persönlichen Unbewussten ans Licht geholt werden sollten und Geisteskomplexe, die aus dem kollektiven Unbewussen ins Bewusste hereinbrechen und denen man nur entfliehen kann. Nach der christlichen Lehre sind Dämonen gefallene Engel, die folgt man Johannes, denMenschen moralisch verderben wollen. Der Benediktiner Anselm Grün geht in seinem Büchlein „Der Umgang mit dem Bösen“ diesem Phänomen nach und erforscht wie die monastische Dämonenlehre der alten Mönche und die ebenfalls empirische Psychologie C.G. Jungs, welche seelische Phänomene unterschiedlich beschreiben, aber gleich lösen. Letztlich benutzt die Mönche das Jungsche System für eine andere Art der” inneren” Dämonen. Hier erscheint mir, durch die Benennung der acht Dämonen-Arten wird der Bewussmachungsprozess gefördert in dem ein Bild, ein Symbol im Bewusssein verankert wird. Während Jung`s Darlegungen sich vor allem darum drehten, die „Besessenheit“, als psychische Krankheit zu beschreiben, geht es in der Dämonenlehre darum, mit den Anfechtungen des Bösen, Abgründigen und Undurchschaubaren besser umgehen zu können. Durch ihr Benennen der Dämonen (der Völlerei, der Unzucht, der Habsucht, der Traurigkeit, des Zornes, der acedia, der Ruhmsucht, des Stolzes) versuchten die alten Mönche dem Ernst und der Vielfalt der Anfechtung und Bedrohung durch das Böse gerecht zu werden. Ein Vorgang wie beiner aktiven Imagination.
Man (ich als Laie im doppelten Sinn) kann jedenfalls kaum einen Unterschied zwischen der Jungschen und der christlichen, der monastischen Betrachtungsweise erkennen. Nicht der Mensch hat einen Komplex (Dämon) sondern dieser hat den Mensch (erfasst). Heute werden wir, wie zu allen Zeiten, vom Feuer der Verfolgung, von der Entkräftung durch Leichtigkeit, den Gefahren des Reichtums und der Armut, Häresien und Irrtümer der gegensätzlichen Extreme, steriler Rationalismus und irrationaler Aberglauben, Fanatismus und Gleichgültigkeit heimgesucht. Es wäre schon schlimm genug, wenn all diese Kräfte unabhängig handelten aber die Gefahren sind unkalkulierbar, wenn diese durch eine innere autome feindlichen Intelligenz – dem Schatten – organisiert sind: “es ist eine nicht zu leugnende Tatsache, dass fremdes Böses alsbald zu eigenen Bösen wird, und zwar dadurch, dass es wiederum Böses in der eigenen Seele anzündet. ( C.G. Jung Aufsatz nach der Katastrophe, 1945). Andereseits sprich C.G. Jung in einem Interview sehr klar aus, das das Böse immer von innen kommt, das Nichterkennen die Ganzheit verhindert. Wenn ein Christ das Böse in seinem Herzen anschaut, es in seiner vollen ränkevollen Wirksamkeit erkennt, dann erkennt er die Sünde, und er bittet Jesus Christus um Vergebung für seine Rebellion gegen Gott. Allein durch diese Vergebung wird unsere Seele heil. Vorher sind wir vom Bösen bestimmt, das unsere Verhaltensweisen einengt und somit unser Leben zerstörerisch bestimmt. Um diesen Zustand zu verändern, ist eine Bekehrung, eine aktive Hinwendung zu Gott, sind Sündenerkenntnis und Sündenvergebung nötig.